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Théâtre du Capitole – Toulouse – 23. Juni 2013

Don Carlo

Ein Don Carlo der Debüts

Sicherlich ein nicht ganz risikofreies Unterfangen, gleich zwei der Hauptpartien (Dimitri Pittas als Don Carlo, Christian Gerhaher als Posa) mit Rollen-Debütanten zu besetzen. Dass es zu einem umjubelten Erfolg wurde, war nicht zuletzt auch der intensiven Probearbeit durch den musikalischen Leiter  Maurizio Benini zu verdanken und dem Umstand, dass seitens des Théâtre du Capitole eine Probezeit zur Wiederaufnahme für die Produktion aus dem Jahr 2005 zur Verfügung stand, wie es anderenorts meist nur für Neuinszenierungen der Fall ist. Neben den beiden Debütanten sorgte mit Roberto Scandiuzzi einer der Heroen des Verdi-Bass-Repertoires als Philipp II. und eine gefragte Verdi-Interpretin wie Tamar Iveri für einen gelungenen Abend.

 
Dimitri Pittas (Don Carlo) und Tamar Iveri (Elisabth)

Regisseur Nicolas Joel hat mit seinem Bühnenbildner Ezio Frigerio und seiner Kostümbildnerin Franca Squarciapino das Spanien des 16. Jahrhunderts von einigen etwas moderneren Bühnenbildkomponenten abgesehen aufleben lassen. Inklusiver Details wie Ebolis Augenklappe -  laut der Überlieferung soll die wilde und draufgängerische Prinzessin beim Degenfechten mit einem Pagen ein Auge verloren haben. Im übrigen war sie keineswegs solo, sondern verheiratet mit Philipps Ratgeber Don Ruy Gomez de Silva, Prinz von Eboli, mit dem sie schon im zarten Alter von zwölf Jahren getraut wurde und zehn Kinder hatte und den Verdi in Ernani, wenn auch nicht zeitlich korrekt, operal verewigte.

In der für diese Inszenierung gewählte vieraktigen, italienischen Fassung für die Scala von 1884 fehlt der erste Akt der fünfteiligen Version im Wald von Fontainebleau, der die (Liebes-)Geschichte von Don Carlo und Elisabeth verständlicher macht, die sich dort – laut der Oper - im Glauben, sie seien Verlobte, schon näher kamen, bevor die Staatsräson Elisabeth zwang einer Heirat mit Carlos’ Vater König Philipp II. zu zustimmen. Ohne den Fontainebleau-Akt besitzt der Tenor nur eine kurz Auftritts-Arie, aber dafür mehrere wunderschöne Duette, so gleich zu Beginn das Freundschafts-Duett mit Posa, im zweiten Akt mit Elisabeth, bei der Brunnen-Szene als Trio mit Posa und Eboli und im vierten Akt das Abschiedsduett mit Elisabeth.

 
Roberto Scandiuzzi (Philipp II.) beim Autodafé

In Toulouse wieder hineingenommen wurde eine 58-Takte umfassende Gefängniszene nach dem Tod Posas und vor dem Volksaufstand, die Verdi bereits vor der Uraufführung in Paris 1867 gestrichen haben soll. Warum er diese Passage entfernte, in der Philipp II. beklagt, dass er den einzigen Menschen, dem er vertraute, erschießen ließ, Carlo seinen toten Freund betrauert und den Wunsch äußert, wenn er nicht ein würdevolles Leben leben könnte, lieber sterben zu wollen, und die Höflinge sich beschweren, dass Posa ihnen das Herz des Monarchen gestohlen hätte, darüber kursieren unterschiedliche Gerüchte. So soll sich der Posa der Premierenbesetzung geweigert haben, so lange auf dem Boden liegen zu müssen, aber auch Verdi selbst soll die Oper für zu lang und die Chorpassage als nicht besonders gut gelungen empfunden und von daher einer Kürzung zugestimmt haben. Andererseits verwendete er die Musik dieser Takte in leicht veränderter Form im Lacrymosa seines Requiems wieder. Für Dimitri Pittas eine weitere Gelegenheit seinen strahlenden und gut eführten Tenor zur Geltung zu bringen. Er singt mit großer Intensität, Sensibilität und Seelenschmerz, besonders berührend sind dabei die Duette mit Elisabeth. Seine Stimme fließt mit solcher Leichtigkeit, dass man am Ende das Gefühl hat, die Oper könne ohne Probleme für ihn gleich noch einmal von vorne beginnen. Auch sein Spiel geht ganz in der Rolle des labilen, unsicheren Infanten auf. Aber die Rolle des vor Liebeskummer Gefühlsverwirrten lag ihm bereits als Nemorino in Donizettis L’elisir d’amore sehr (siehe auch Kurz-Interview unten).

 
Dimitri Pittas (Don Carlo) und Christian Gerhaher (Posa)

Doch nicht nur für den amerikanischen Tenor brachte der Don Carlo einen Fachwechsel bzw. eine Erweiterung seines Repertoires sondern ebenso für den deutschen Bariton Christian Gerhaher, der sich vor allem im Lied- und Konzertbereich international Bekanntheit und Anerkennung erworben hat, und bisher nur vereinzelt auf der Opernbühne stand und dann vor allem als Wolfram von Eschenbach in Wagners Tannhäuser (u.a. Wiener, Münchner und Berliner Staatsoper, Royal Opera House London, Teatro Real Madrid) oder wie an der Oper Frankfurt als Eisenstein in Die Fledermaus und als Pelléas in Pelléas et Melisande. An der Oper Frankfurt wird er im Mai 2014 in der dortigen Neuproduktion auch sein Debüt als Don Giovanni geben. Seine in allen und durch alle Register elegant und geschmeidig geführte Baritonstimme passt sehr gut zur noblen Figur des Marquis de Posa, seiner ersten großen Verdi-Partie überhaupt, und wird besonders berührend in seiner Sterbeszene.

 
Roberto Scandiuzzi (Philipp II.) und Kristinn Sigmundsson (Großinquisitor)

Nur wenige Sänger sind so sehr die Personifizierung Philipp II. wie der italienische Bass Roberto Scandiuzzi, der diese Partie seit seinem Rollendebüt im Alter von 26 Jahren in den knapp drei Jahrzehnten seitdem rund 200 mal verkörpert hat – nur noch übertroffen in seinem Repertoire von bisher 467 Fiescos in Simone Boccanegra! Ella giammai m’amò! mit feiner Linie und Phrasierung, lang gezogenen Legato-Bögen, berührendem Piani, kraftvollen Ausbrüchen gesungen, lässt alles Leid und allen Zweifel des einsamen Herrschers subtil untermalt von den Solo-Stimmen des Orchesters für den Zuhörer erfühl- und erfahrbar werden. Don Carlo ist ein Fest der tiefen Stimmen, vor allem im Bass-Duell zwischen König und Großinquisitor, bei dem sich am Ende die weltliche Macht der kirchlichen beugt. Von Kristinn Sigmundsson in der Rolle des kirchlichen Anklägers hätte man sich dabei etwas mehr teuflische Schwärze gewünscht, deren Fehlen der an allen großen Häusern reüssierende, isländische Bass mit einem Unterton des Gemeinen wettzumachen suchte.

 
Christine Goerke (Eboli)

Wie Roberto Scandiuzzi ist Tamar Iveri keine Unbekannte am Théâtre du Capitole. Die Georgierin, die bereits einige Verdi-Partien wie Desdemona (Otello) und Amelia (Un ballo in maschera), die sie in der Spielzeit 2013/14 wieder an der Wiener Staatsoper interpretiere wird, zu ihrem Repertoire zählt, verkörperte mit großer Glaubwürdigkeit und Würde die Elisabeth de Valois, die sie zuvor bereits an der Pariser Bastille und der Berliner Staatsoper gesungen hat. Mit ihrer nuancen- und farbenreichen Stimme brillierte sie besonders in ihrer Arie Tu che le vanità im vierten Akt und dem daran anschließenden Abschiedsduett mit Dimitri Pittas, in dem sich die Stimmen beider Sänger aufs Feinste verschmolzen. Die amerikanische Sopranistin Christine Goerke gab der Partie der Prinzessin Eboli unbändige Stimmkraft, konnte aber nicht verleugnen, dass sie vor allem große Erfolge im deutschen Fach wie mit den Strauss Partien der Elektra und der Färberin weltweit feiert.  

Birgit Popp

 

Kurz-Interview mit Dimitri Pittas

? Don Carlo ist ein Rollen-Debüt für Sie, aber nicht das einzige in diesem Jahr.

D.P.: In diesem Jahr debütiere ich in Don Carlo im Juni hier in Toulouse, in I Lombardi im November an der Hamburgischen Staatsoper und in Un Ballo In Maschera in Februar 2014 in Toronto, also gleich in drei Verdi-Partien nacheinander.

? Wie würden Sie Ihre Stimme zum jetzigen Zeitpunkt beschreiben?

D.P.: Ich halte mich gänzlich für einen lyrischen Tenor. Ich bin noch etwas zu jung, um mich als Spinto einzustufen, bisher habe ich auch noch nicht viele Spinto-Patien gesungen. Ich würde sagen, die größte, sprich gewichtigste Rolle, die ich bisher singe, ist Rodolfo in La bohème. Don Carlo ist eine lange Rolle, aber man kann sie nicht wirklich als gewichtig bezeichnen. Puccinis reiche Orchestrierung verlangt eine bestimmte Art der Stimme, während Don Carlo über der Musik zu schweben scheint, was die Partie weniger schwergewichtig macht als Rodolfo.

? Wie denken Sie über die Rolle des Don Carlo, sowohl musikalisch als auch über seinen Charakter?

D.P.: Ich liebe die Musik dieser Oper in ihrer Gesamtheit. Ich denke, es ist einer der besten Verdi Opern überhaupt, und ich liebe es, von der Musik dieser Oper gefesselt zu werden. Als Charakter empfinde ich ihn als frustrierten Mann, der niemals selbst Kontrolle über sein Leben besitzt oder über die Entscheidungen, die um ihn herum getroffen werden. Sogar, als er sich im Autodafé selbst gegen seinen Vater auflehnt, wird er schnell durch dessen Richtspruch herabgesetzt. Es ist ein emotionaler Kampf, der aber musikalisch sehr selbstbewusst herüberkommen muss.

? Bevor sie nach Toulouse kamen, hatten Sie im April und Mai gerade die Partie des Nemorino an der Münchner Staatsoper in Donizettis L’elisir d’amore gesungen, eine Rolle, die Sie seit vielen Jahren begleitet und die Sie u.a. schon an der New Yorker MET gesungen haben.

D.P.: Ja, ich habe Nemorino schon viele Male gesungen. Es ist in der Tat einer meiner Lieblingsrollen. Ich werde immer inspiriert von seinem gutem Herzen und seiner vertrauensvollen Seele. Ich freue mich schon auf die Neuproduktion im April 2014 an der Deutschen Oper Berlin.

? In welchen Rollen sehen Sie Ihre Zukunft als Sänger?

D.P.: Ich liebe das Repertoire, das ich derzeit singe. Ich hoffe, dass ich mit zunehmender Reife mehr Verdi singen werde, aber ich werde immer bestrebt sein, Opern wie L’elisir d'amore und Rigoletto zu singen, bei denen die Stimme mehr Sensitivität und Leuchtkraft besitzen muss.

 Birgit Popp

 

Die Besetzung

Dirigent: Maurizio Benini
Regie: Nicolas Joel
Bühnenbild: Ezio Frigerio
Kostüme: Franca Squarciapino
Licht: Vinicio Cheli

Philipp II: Roberto Scandiuzzi
Don Carlo: Dimitri Pittas
Rodrigo: Christian Gerhaher
Großinquisitor: Kristinn Sigmundsson
Ein Mönch: Jordan Bisch
Elisabeth: Tamar Iveri
Eboli: Christine Goerke (18., 20., 23., 25.) / Ekaterina Gubanova (28., 30.)
Tebaldo: Daphné Touchais
Graf von Lerma: Alfredo Poesina
Herold: Dongjin Ahn
Himmlische Stimme: Julia Novikova
Flandrische Depütanten: Gezim Myshketa, Orhan Yildiz, César San Martín, Alexey Lavrov, Adam Cioffari, Zhengzhong Zhou
Mönche: Romano dal Zovo, Carlo Andrea Masciadri, Kyusang, Pietro Simone, Antonio Corsano,Luca Ludovici

Orchestre national du Capitole
Chœur du Capitole, Chorleiter: Alfonso Caiani Direction

Texte: Birgit Popp, Photos: Théâtre du Capitole - David Herrero

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