Welturaufführung
des Auftragswerkes der Wiener Staatsoper
15. Juni 2002 an der Wiener Staatsoper
Der Riese vom Steinfeld
Umjubelte
Uraufführung eines atmosphärisch dichten Werkes
Die 'Kleine Frau' vor der lebensgroßen Puppe des Riesen -
esist alles, was ihr von ihm bleibt, die Gesellschaft hat
das Glück der beiden nicht zugelassen.
Photo: Axel Zeininger
Auch die zweite Premiere des
Jahres 2002 an der Wiener Staatsoper wurde zum überwältigenden Erfolg.
Wie Jenufa ist auch Der Riese vom Steinfeld ein sehr berührendes Stück,
das allgemeingültige und immer aktuelle Fragen aufwirft, die sich auf
vier Themen konzentrieren: das Ausgestoßensein aus der Gesellschaft wegen
einer körperlichen Abnormalität; das innere und das äußere
Erscheinungsbild und die damit einhergehende unterschiedliche Einschätzung
von sich selbst und durch andere; die Ausbeutung eines (naiven) Menschens;
die Suche nach dem persönlichen Glück – und wie es durch das Verhalten
der Mitmenschen zerstört werden kann. Für eine Oper von nur einer Stunde
und 45 Minuten Länge, die durchgehend ohne Pause gespielt werden, eine
Vielzahl von Themen, was alleine schon vorgibt, daß die 14 Szenen
kollageartig ablaufen. Beeindruckend in diesem Zusammenhang ist der
rasante Umbau, der hinter einem Vorhang abläuft, auf dem das Ziel der Träume
des Riesen und seiner Mutter Anja zu sehen ist: die 'große Wiese, auf der
er klein wirken würde'. Wunderschön lyrisch und in die jeweils neue
Szene überführend – im wahrsten Sinn des Wortes, da die Musik ein Schreiten suggeriert -, sind die von Friedrich Cerha für diese Umbauphasen
komponierten, orchestralen Zwischenspiele.
(Die Kleine Frau (Diana Damrau) und der Riese (Thomas Hampson) - auch ihr
privates Glück wurde zur Schau gestellt.
Anders als die bereits zum
Klassiker gewordene Jenufa ist Der Riese vom Steinfeld jedoch eine Uraufführung
– ein Auftragswerk der Wiener Staatsoper, das sich hoffentlich auf dem
Spielplan halten wird, denn es ist sehenswert.
Des Riesen Mutter Anja (Michelle Breedt) und der
Musikzauberer (Branko Samarovski)
Die berührende
Lebensgeschichte des Riesen vom Steinfeld, dem 2,58 m großen Bauernsohn
Franz Winkelmeier (1860 - 1887), wurde von Peter Turrini literarisch in
einem Opernlibretto aufbereitet, von Friedrich Cerha vertont und von Jürgen
Flimm und seinem Regieteam Erich Wonder (Bühnenbild) und Florence von
Gerkan (Kostüme) bühnenwirksam in Szene gesetzt. Dabei lebt das Stück
von seinen Gegensätzen, wie der Einsamkeit und Beschaulichkeit des
Bauernlebens, die in den statisch gehaltenen Bewegungen in den Duetten
zwischen dem Riesen und seiner Mutter Anja und der volksliedartigen Weise
über die Wochentage und der Suche nach dem Glück besonders zum Ausdruck
kommen, und der schillernden,
hektischen Welt des Kabaretts, Zirkusses und der Königs- und Kaiserhöfe.
Gegensätze, wie die poetischen Weisen des Riesen und der in ihn
verliebten kleinen Frau auf der einen und der schrillen Satire, wie sie
durch den Conférencier, Queen Victoria oder Kaiser Wilhelm II. an den Tag
gelegt wird auf der anderen Seite. Gegensätze, wie die liebenswerte
Naivität des Riesen und die Durchtriebenheit und Geldgier des
'Klammerschneiders'. Gegensätze, wie die dünn instrumentierte Musik zu
den Gesangsnummern und dem vollen Orchesterklang der Zwischenstücke –
beides von Dirigent Michael Boder hervorragend am Pult des klangstarken,
mitreißend aufspielenden Staatsopern-Orchesters umgesetzt.
Das atmosphärisch dichte,
ergreifende Werk lebt vor allem aber auch von seinen drei positiven
Protagonisten: Thomas Hampson, selbst stattliche 1,95 m groß und mittels
Spezialstiefeln noch um 30 Zentimeter erhöht, singt die Titelpartie mit
wohlströmendem Bariton, dem die Partitur eine hohe Tessitura und
langgezogene Legato- Bögen abverlangt. Hampson gelingt es, mit seiner
Stimme, aber ebenso mit
seiner Darstellung, die Naivität und die Wünsche des Riesen zum Ausdruck
zu bringen, der sich nichts sehnlicher wünscht, als wieder im Knabenchor
mitsingen zu dürfen. Ein Wunsch, der ihm wie die große Wiese verwehrt
bleibt und für Anlaß zum Spott in der Dorfgemeinschaft sorgt. Diana
Damrau als Kleine Frau hat wahnsinnig hohe Töne (bis zum G) zu bewältigen.
Ihr gelingt dies mit schier unglaublicher Sicherheit, dabei mit Herz und
mit lyrischer Weichheit und Anmut in der Stimme. Großartig ist sie auch
in ihrer Darstellungsweise. Bei allerbester Stimme selbst in den
schwierigsten Passagen befindet sich auch die Mezzo- Sopranistin Michelle
Breedt als des Riesen Mutter, die sich immer wieder in berührender Weise
bemüht, ihrem Sohn neuen Lebensmut einzuflößen. Hervorragend sind auch
die anderen Partien mit Herwig Percoraro, Wolfgang Bankl, Alfred Sramek,
Heinz Zednik, Margareta Hintermeier, John Nuzzo, Janusz Monarcha und
Branko Samarovski (stumme Rolle) besetzt.
Der angeheuerte Schauspieler (Alfred Sramek) soll als Teufel verkleidet
dem Riesen das Leben schwer machen und ihm aus dem Heimatdorf vertreiben,
wo man ihn für alles Übel verantwortlich macht.
Die Uraufführung am 15. Juni
2002 fand auch in den Medien große Aufmerksamkeit und wurde live im Radio
Ö1 um 19.30 Uhr übertragen und zeitversetzt am 15. Juni im Fernsehen ORF
2 um 22.40 Uhr. In der Spielsaison 2002/2003 steht das neue Opernwerk im
September erneut auf dem Spielplan.
Wolfgang Bankl als Conférencier in Paris.
Birgit
Popp
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