Teatro Real - Saisoneröffnung
2003/2004 - Oktober 2003
La
traviata
Photos und Text: Birgit Popp
Szenenphoto vom Fest des 1. Aktes
Streiks scheinen in der spanischen Musiktheater -
Szene seit einem Jahr an der Tagesordnung zu sein. Diesen Eindruck kann
man nach der vom Orchester bestreikten Otello-Premiere im Oktober 2002
in Sevilla, der bestreikten Premiere vom 5. Juni 2003 im Madrider Teatro
de la Zarzuela oder al s jüngstes Beispiel mit der durch die Bühnenarbeiter
und zahlreichem weiteren Personal des Teatro Real bestreikten Saisoneröffnung
2003/2004 gewinnen. Während die Generalproben der beiden Besetzungen
noch mit Bühnenbild stattfanden, wurde die Premiere am 1. Oktober 2003
von Verdis La Traviata unter der musikalischen Leitung von Jesús López
Cobos konzertant aufgeführt. Die Solisten gestalteten die konzertante
Aufführung so darstellerisch intensiv, daß die Zuhörer leicht
vergessen konnten, daß sie nur in einer konzertanten Vorstellung waren.
Etliche Mitglieder des ebenfalls vor dem Vorhang agierenden Chors hätten
sich allerdings dem Anlaß gemäßer kleiden können. Daß die Premiere
konzertant sein würde, war schließlich schon einige Tage zuvor bekannt
gewesen.
Szenenphoto vom Landhaus in der 2. Szene des
1. Aktes
Ein Streik eigener Art bot die ursprünglich in
der Titelpartie für die A-Premiere vorgesehene Angela Gheorghui. Nicht
ungewöhnlich für einen Star reiste sie erst zwei Wochen nach Beginn
der Proben an. Nach ständigem Herumnörgeln am Konzept des Regisseurs
Pier Luigi Pizzi warf sie aus angeblich unüberbrückbaren
Meinungsverschiedenheiten über das Regiekonzept nach nur wenigen Tagen
das Handtuch. Die gefällige Regie des Altmeisters kann wohl kaum die
wahre Ursache gewesen sein und so wird vermutet, daß sich die
Sopranistin ganz auf ihr gleichzeitiges Engagement in London
konzentrieren wollte. Die feine Art war dies sicherlich nicht. Viele Tränen
weinte man ihr in Madrid jedoch nicht hinterher und dies zurecht.
Norah Amsellem und
Renato Bruson
Da es in nur zwei Wochen insgesamt zwölf
Vorstellungen gab, waren ohnehin drei Sängerinnen für die Rolle der
Violetta vorgesehen gewesen und so sang Norah Amsellem die A- und
Annalisa Raspagliosi die B-Premiere. Beide Sängerinnen boten bravouröse
Leistungen, sowohl gesanglich als auch in ihrer Darstellung. Die in
Paris geborene Französin gab ihrer Violetta eine stärkere dramatische
Note, während die Italienerin die Partie etwas lyrisch - gefühlvoller
anlegte. Beides waren zwei interessante Variationen, bei denen es
schwerfällt, der einen oder anderen den Vorzug zu geben.
zurück oin Paris - Norah Amsellem und Juan Tomás Martínez
Die Rolle des Alfredo Germont war in der
A-Premiere mit dem Katelanen José Bros, die B-Premiere mit dem
Italiener Giuseppe Filianoti besetzt - zwei Vorstellungen wurden zudem
von Miroslaw Dvorsky gesungen. Auch bei den beiden Herren gab es zwei
interessante Variationen einer Rolle. Auf der einen Seite einer der führenden
spanischen und weltweit gefragtesten Tenöre, der immer wieder mit
seiner einschmeichelnden, klangvollen Stimme gefällt, der aber den zwar
durch aus zornigen, aber doch etwas gesetzteren Typ des Liebhabers verkörperte.
Obwohl er schon an Häusern wie Covent Garden oder Wiener Staatsoper
gesungen hat, steht Giuseppe Filianoti noch am Anfang einer großen
internationalen Karriere, entwickelt sich sein Repertoire derzeit auch
mehr vom Mozart/Rossinini-Tenor zum lyrischen Fach. Er verkörperte
den jugendlichen Typ des Liebhabers mit großer Flexibilität in seiner
mit Leichtigkeit geführten Stimme und seiner Darstellungsweise.
1. Sezene im ersten Akt: Annalisa Raspagliosi und
Giuseppe Filianoti
Ein in seiner Bühnenpräsenz kaum zu überbietender
Vater Germont, der diese Rolle nicht spielen braucht, sondern es
schlichtweg ist, bot Renato Bruson. Der
italienische Bariton-Star kann allerdings gewisse Tribute in den
höheren und tieferen Lagen seiner Stimme an sein Alter nicht
verheimlichen. Mit frischem Baritonklang wartete dagegen Vittorio
Vitelli auf. Dem wie Bruson aus Italien stammenden Bariton hätten
allerdings die Maskenbildner ein paar graue Haare mehr vermachen dürfen.
Stimmlich überzeugend und mit nobler Erscheinung auftretend hätte man
ihn aber doch fast für den älteren Bruder Alfredos halten können.
Annalisa Raspagliosi und Vittorio Vitelli
Auch die kleineren Pariten waren mit Ángel Rodríguez
(Gastone), Juan Tomás Martínez (Douphol), Marco Moncloa (D'Obigny),
Itxaro Mentxaka (Flora) und María Espada (Annina) sehr gut besetzt. Jesús
Lopéz Cobos führte das Madrider Sinfonie - Orchester mit der von ihm
gewohnten Sicherheit in schönem Fluß, mit gut herausgearbeiteten
Feinheiten und energiegeladen, wo erforderlich. Der Chor unter Leitung
von Martin Merry schöpfte bei den großartigen Chorszenen, die Verdis
Oper bietet, aus den Vollen.
die spanischen Tänzerinnen im 2. Akt
Pier Luigi Pizzi, der in einer Hand Regie, Bühnenbild
und Kostüme vereinte, schuf eine das Auge schneichelnde Inszenierung,
die in das Paris der deutschen Besetzungszeit versetzte. Nichts
aufregend Neues, aber auch nichts Anstößiges, da man ohnehin es nur an
den Uniformen der Festgäste zu Beginn des ersten Aktes bemerkte. Die
Pariser Szenen spielen in einer stimmungsvollen Nobelvilla, während das
Landhaus etwas wenig Landhaustypisches mit Ausnahme der durch die
Fenster zu sehenden Bäume bot. Während das Fest des ersten Aktes im
Schwarz - Weiß - Ton gehalten war, die Landhausszene paassend zum
Geschehen im kühlen Blau - Weiß, überwog im Pariser Spiel- und Amüsiersalon
des zweiten Aktes das Rot - Schwarz - Ambiente.
Die Balleteinlage
Schon eine einzige Szene (die Solisten mögen es
der Schreiberin verzeihen) machte die Vorstellung sehenswert:
faszinierender dürfte das Ballet und der Chor der spanischen Tänzerinnen
und Stierkämpfer im zweiten Akt noch nie inszeniert worden sein. In der
Choreographie von Marco Berriel traten neben Toreros und Tänzerinnen in
lebensgroßen Kostümen schwarze Pferde und Stiere auf, die zudem den
Sieg gegen die menschliche Kreatur davontrugen. Am Ende zogen die Pferde
nicht die toten Stiere aus der Arena, sondern die toten Stierkämpfer.
Das Publikum war von dieser gandiosen Szene begeistert.
Birgit Popp
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