Bericht

Deutsche Oper Berlin, konzertante Aufführung 28. Juni 1998
Werther

Die konzertante Aufführung von Jules Massenets 'Werther' wurde am 28. Juni zu einem Opernabend, für den viele Superlative gezückt wurden und an dem der tosende Applaus kaum enden wollte. Obwohl eigentlich eine konzertante Aufführung wurde sie eindringlicher als es jede szenische hätte sein können. Dazu beigetragen hat nur begrenzt die Bühnendekoration, die das Stück auf die Lichtung eines grünen Waldes versetzte, auf der das Orchester spielte (wobei 'Werther' zur Weihnachtszeit beginnt und endet, insofern waren die grün-belaubten Bäume an den Bühnenseiten eine nicht ganz geschickte Wahl). Optisch brachte auch der Wechsel zwischen hellem und dunkelblauem Hintergrund,  zwischen Tag und Nacht Simmungsänderungen zum Ausdruck. Den größten Anteil an der eindringlichen Wirkung hatten jedoch vielmehr die Darstellungsweisen der Sänger und Sängerinnen, die Aufteilung der Bühne und die Auf- und Abgänge der Künstler. Wie bei einer szenischen Darstellung waren immer nur die Akteure auf der Bühne anwesend. Aber Werther ist auch kein Stoff, der eine szenische Umsetzung  benötigen würde, denn das Drama spielt sich in den Menschen ab, und musikalisch gesehen wurde es ohne Szenenbild fast noch eindringlicher. Wie sehr Alfredo Kraus den Werther über die vergangenen drei Jahrzehnte verinnerlicht hat, wurde bereits offenbar, als der mittlerweile siebzigjährige Grandseigneur der Opernwelt zum ersten Mal die Bühne betrat: seine Physiognomie ganz die eines leidenden, suchenden Menschens, der geistesabwesend über die Zuschauer hinweg sah. Schon bei diesem ersten Erscheinen Werthers war die ganze pessimistische Grundhaltung seiner Person, die Todessehnsucht, die Leiden und Qualen zu spüren, noch bevor er den Schmerz der unerfüllten Liebe erfahren mußte. Was den spielerischen Charakter der Darstellung noch unter- strich, war die Tatsache, daß Alfredo Kraus, der sich auch ohne langwierige Arbeit der Maksenbildner noch immer als Fünfzigjähriger ausgeben kann, in seiner Paraderolle keinen Blick in die Partitur werfen mußte. Wie bei einer Operninszenierung sang er frei und agierte auf offener Szene. Da wurde geküßt oder zumindest der Versuch dazu gestartet (Vasselina Kasarova nahm das Küßchen, das sie während des Aktes als Charlotte verweigerte, gerne nach dem Akt als Zeichen der Anerkennung von Alfredo Kraus an), umarmt und gestorben, wenn auch im Stehen.  In der darstellerischen Leistung und Innigkeit stand Vasselina Kasarova Alfredo Kraus kaum nach. Alfredo Krauses Stimme leuchtet noch immer mit Leichtigkeit und Brillanz in den Höhen und ist mit einem schier unendlichen Atem ausgestattet, gleiches kann man auch von Vasselina Kasarova sagen. Da sitzt ein Ton wie der andere, da gibt es kein Forcieren. Die bulgarische Mezzosopranistin, die  in kürzester Zeit zum Weltstar avanciert ist, machte ihrem Ruf alle Ehre, die lyrischen und dramatischen Qualitäten ihrer Stimme sind unbestritten. Ihr gelang es ganz die Herzenswärme und Liebenswürdigkeit Charlottes, aber auch ihre innerlich immer stärkere Zerrissenheit bishin zum offenen Eingeständnis ihrer Liebe zu dem im Sterben befindlichen Werther auszudrücken.

Portrait Alfredo Kraus
Alfredo Kraus
Auf höchstem Niveau waren auch die anderen Partien besetzt, von weiblicher Seite ist Charlottes Schwester, die weitaus unbekümmertere Sophie, die eigentlich Werther sehr zugetan ist, der aber nur Augen für ihre Schwester hat, hervorzuheben. Mit ihrem klaren, freudigen Sopran sang Abbie Furmansky diese Sophie sehr anmutig. Beeindruckend war Friedemann Kunder als Amtmann und Vater von Charlotte und Sophie. Peter Engelmann als Charlottes Ehemann Albert gab stimmlich und optisch eine gute Figur. Als gut aufeinander eingestimmtes und eingespieltes 'Freundesduo' Johann und Schmidt gefielen der Baß Ralf Lukas und der Tenor Gerard Garino. Seinen Anteil am Gelingen des Abends hatte auch der  Knabenchor Berlin. Die musikalische Leitung hatte Alain Guingal, der seit vielen Jahren mit Alfredo Kraus zusammenarbeitet und dem Tenor sein Debüt an der Deutschen Oper mit 'Werther' verdankt. Ihm gelang es mit dem Orchester die süßlich-einschmeichelnden, mal dramatisch-spannenden Melodien des lyrischen Dramas von Massenet zu vermitteln.
Vesselina Kasarova: Die junge bulgarische Mezzosopranistin ist Absolventin eines Musikgymnasiums und wollte ursprünglich Konzertpianistin werden, beschloß aber nach dem Diplom, Gesang zu studieren. Noch während ihres Studiums übernahm sie größere Mezzopartien an der Oper von Sofia. 1989 ging sie für zwei Jahre an das Züricher Opernhaus. 1991 erfolgte ihr Debüt als Rosina an der Wiener Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen (Annio). Seitdem tritt Vesselina Kasarova an allen bedeutenden Bühnen in Europa auf und ist auch als Konzert- und Liedsängerin sehr beliebt.
Vesselina Kasarova
Birgit Popp

 

Opera Notes