Interview

Interview mit José Cura (deutsche Version)
José Cura
José Cura wird von vielen als Tenor des 21. Jahrhunderts betrachtet, als der neue Star am Tenorhimmel. Innerhalb von nur wenigen Jahren avancierte der Argentinier zu einem der begehrtesten Sängern an den großen Opernhäusern der Welt. Im November '98 wird er sein Debüt am Washingtoner Opernhaus in 'Samson et Dalila' geben und im Herbst '99 wird er die Saison 1999/2000 an der MET eröffnen. Aber er besitzt nicht nur eine außergewöhnliche Stimme sondern auch sehr eigenständige Ansichten.
Birgit Popp: Bei Ihrem Konzertabenden ist gleich zu spüren, daß Ihnen das Metier der Bühnenshow liegt. Sie standen bereits als Jugendlicher auf der Popbühne. Jetzt treten Sie mit Spotlight auf, agieren auf Bühne im Solo-Konzert, als sei es eine Inszenierung und keine konzertante Aufführung, arbeiten mit Gestik und Mimik. Das Publikum ist begeistert, zollt Ihnen Standing Ovations. Wie lange geben Sie Ihre Konzerte in dieser Art ?

José Cura: Ich gebe noch nicht lange Konzerte, aber von Anfang an war es genau in dieser Weise. Es macht mir Spaß auf, der Bühne zu sein, mich zu bewegen, ein paar Späße zu machen, mich hinzusetzen. Vor zwei Jahren habe ich bei einem Konzert die Arie aus Le Villi auf dem Rücken liegend in Jeans gesungen.

B.P.: Während Sie mit zwanzig an der Musikhochschule ihrer Heimatstadt Rosario Komposition und Dirigieren studierten, empfahl Ihnen der Chorleiter eine Ausbildung als Opernsänger. Oper hatte Sie bis dahin aber nicht interessiert . . . .

J.C.: Mein Interesse an der Oper fing sehr langsam an, als ich 21, 22 Jahre alt war. Aber ich bekam Probleme mit meiner Stimme und gab die Ausbildung wieder auf. Erst mit 26 fing ich wieder an. Langsam begann ich es zu mögen. Am Ende fand ich 1988 in Horacio Amaurin einen Lehrer, der meine Stimme verstand. Von da an begann sich meine Stimme als Tenor zu entwickeln, so wie sie heute ist. 1991 ging ich nach Europa und begann mit  dem Tenor Vittorio Terranova zu arbeiten.

B.P.: Was veranlaßte Sie nach Europa zu gehen ?

J.C.: Wenn man ein hervorragender Opernsänger im italienischen Fach werden will, muß man nach Italien gehen, mit den Italienern leben, um  zu verstehen, warum man in Italien in einer bestimmten Weise singt. Die italienische Oper ist so verschieden zur deutschen. In deutschen Opern gibt es nicht so viele Höhepunkte an hohen Noten. Es gibt sie in der italienischen Oper, weil die Italiener gerne schreien.

B.P.: Sie sangen aber auch 1991 in Buenos Aires am Teatro Colón vor, wo Sie auch studiert haben, wurden aber abgelehnt mit dem Hinweis, Sie sollten besser den Beruf wechseln.

J.C.: Ja. das war im Dezember 1990. Damals nahm ich zum letzten Mal an einem Vorsingen in Argentinien teil. Danach ging ich nach Europa. Aber nun wollen sie mich wieder. 1994 habe ich am Teatro Colón bereits ein Gala-Konzert gegeben.

B.P.: So haben Sie dem Theater verziehen ?

J.C.: Ich mache Ihnen keine Vorwürfe. Es ist überall das selbe Problem, der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Man glaubt immer, daß die ausländischen Künstler die besseren sind, bis sich der eigene Künstler im Ausland bewährt hat.

B.P.: Sie trafen Ihre Ehefrau Silvia bereits mit 15 Jahren. Seit 13 Jahren sind Sie verheiratetet. Haben drei Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren. Interessiert sich Ihr ältester Sohn bereits für Musik ?

J.C.: Nein, zum Glück nicht, er ist ein normales Kind.

B.P.: Aber für Sie gab es nie etwas anderes in ihrem Leben als Musik ?

J.C.: In meinem Leben habe ich schon alles gemacht. Ich war Bodybuilder, Elektriker, Schreiner. Ich arbeite in unserem Haus, das wir in Paris gekauft haben, ebenso im Wald. Schauen Sie auf meine Hände, sind das die Hände eines Tenors ? Das sind die Hände, von jemandem, der lebt, was verschieden und viel interessanter ist.

B.P.: Wenn Sie sagen, Sie wollen neue Wege in der Oper gehen, was verstehen Sie darunter ?

J.C.: Ich war schon immer bizarr. Niemand hat mich bis heute dazu gebracht, etwas zu tun, was ich nicht möchte. Sie haben gesehen, wie ich das Konzert gestalte. In der selben Weise agiere ich auch in der Oper. In der selben direkten Art. Wenn ich fallen muß, dann tue ich dies. Sie werden nie zu einer Oper gehen, in der ich singe, und mich 25 oder 45 Minuten lang in der selben Pose sehen. Deshalb werde ich sicherlich auch nie Wagner-Opern singen.

B.P.:Der schauspielerische Anteil besaß für Sie schon immer große Bedeutung ?

J.C.: Ja, wenn nicht, könnten die Zuschauer zu Hause bleiben und eine CD einlegen. Warum sollten sie ins Theater kommen ?

B.P.: Welche Art von Produktionen bevorzugen Sie, die modernen, die traditionellen oder kommt es auf die Oper an ?

J.C.: Man kann alles auf der Bühne machen, solange es logisch ist und mit gutem Geschmack. Das Problem ist, daß einige Regisseure ihre Phantomvorstellungen auf der Bühne umsetzen wollen und das ist nicht gut. So lange es vernünftig ist und man wirklich daran glaubt, kann man alles machen. Sie haben mich in meinem Konzert nur mit einem Stuhl auf der Bühne gesehen und das ganze Gefühl von Pagliacci war da. Man benötigt keine große Inszenierung. Wenn man einen Künstler mit Charisma und Ausstrahlung besitzt und einen Stuhl auf die Bühnenmitte stellt, alles andere schwarz bleibt, so wird doch alles passieren. Andererseits kann man viel Aufwand betreiben, mit Feuerwerk und allem, aber wenn der Künstler kein Charisma besitzt, wird auf der Bühne nichts passieren.

B.P.: Sie sind studierter Komponist und Dirigent, nähern Sie sich den Opern in einer anderen Weise als die anderen Sänger ?

J.C.: Ich denke, jeder Sänger, der zugleich Musiker ist, wird sich den Werken auf einer anderen Weise nähern. Sicherlich auf dem einzigen, logischen Weg. Zum Glück sind die meisten Sänger der jungen Generation zugleich auch Musiker. Sie müssen dazu nicht Komposition und Dirigieren studiert haben, das ist ein langer Weg, aber sie spielen ein Instrument oder können zumindest die Partitur lesen. Für meine sängerische Tätigkeit ist meine musikalische Ausbildung ohne Frage von Vorteil. So ist es für mich sehr einfach, den Takt zu halten.

B.P.: Sie komponieren selbst auch noch. In welcher Richtung gehen Sie dabei ?

J.C.: Ja, ich komponiere sehr gerne. Da ich Sänger bin, am liebsten zu Texten. Ich denke, meine Musik ist fürs Jahr 2001, für das nächste Jahrtausend. Ich mag die Klassifizierung nicht, sie ist restriktiv. Du schreibst, was Du brauchst, oder was Du fühlst, was Du schreiben solltest.

B.P.: Wo sind Ihre Kompositionen zu hören ?

J.C.: Zum Beispiel auf einer CD, die ich Ende letzten Jahres in Argentinien aufgenommen habe. Ich habe zwei Lieder für diese CD geschrieben. Da es Lieder über Liebe und Tod sind, habe ich eine einfache, leichte, gefällige Musik geschrieben. Wenn ich Requiem oder Stabat mater schreibe, ist die Musik natürlich komplexer. Es ist ganz unterschiedliche Musik und wir sollten ein- für allemal mit der Klassifizierung aufhören, wie wir mit den Staatsgrenzen aufhören sollten. Es ist lächerlich. Wir leben in der Europäischen Gemeinschaft, aber wenn ich nach England reise, muß ich noch immer meinen Paß vorzeigen oder Geld wechseln. Wir sollten die Dinge abschaffen, die die Menschen einschränken.

B.P.: Sie singen die beiden Lieder selbst ?

J.C.: Ja und ich höre schon jetzt die Kritiker sagen, das sind naive Lieder, die Cura da geschrieben hat. Aber das ist mir nur recht, denn die wollte ich für diese ansonsten sehr klassische CD schreiben. Es sind zwei nette Lieder mit reicher Harmonie, aber eben auch nicht mehr.

B.P.: Sie haben gesagt, Sie bevorzugen die Rollen wie Otello, Don Jose, Cavaradossi oder Des Grieux mit denen Sie dem Publikum etwas vermitteln können ? Sie wollen, daß die Zuschauer aus dem Theater etwas mitnehmen, worüber sie nachdenken können. Was wäre das ?

J.C.: Das kann ich nicht sagen. Jeder wird etwas anderes mitnehmen, seiner Lebenssituation entsprechend. Je nach dem wie Dein Leben ist, was Deine Probleme sind. Ich kann niemals sagen, ich möchte, daß die Zuschauer mit einer bestimmten Erinnerung aus dem Theater gehen. Es ist unmöglich, das zu kontrollieren. Es wäre vermessen zu sagen, ich möchte eine Botschaft geben und die Menschen müssen sie annehmen oder gar nichts. Aber da ist eine Sache, die ich wirklich möchte. Ich möchte, daß das Publikum in einer anderen Weise, in einer anderen Stimmung das Theater verläßt, als es gekommen ist. In welcher Weise auch immer, aber wenn die Menschen das Theater in der selben Stimmung verlassen, in der sie gekommen sind, ist das frustrierend. Die Musik sollte sie verändert haben und diese Musik sollten wir Künstler ihnen eröffnen. Es war kein Erfolg, wenn nach einem Konzert oder Opernaufführung schon ein paar Minuten später keiner mehr darüber spricht, was er gesehen und gehört hat. Es ist ein Erfolg, wenn die Menschen noch Tage oder Monate danach davon sprechen. Natürlich wird jeder über etwas anderes reden, aber über eines möchte ich, daß sie alle sprechen, über Gefühle.

B.P.: Ihre bisherigen Schwerpunkte sind die Opern von Puccini und Verdi. Sie leben seit drei Jahren in Frankreich. Werden Sie sich in Zukunft stärker mit dem französischen Opernrepertoire beschäftigen ?

J.C.: Bisher habe ich zwei französische Opern im Repertoire, 'Samson et Dalila' und 'Carmen'. Mir wurde von vielen Seiten zum 'Werther' geraten, aber dieser wird derzeit vor allem von lyrischen Tenören gesungen. Ich muß die Partie studieren und werde mich dann entscheiden.

B.P.: Sie besitzen bereits in jungen Jahren eine dramatische Tenorstimme. Doch Sie sagen, daß für Sie viele Rollen, die als dramatisch erachtet werden, wie Otello oder Radames, für Sie eigentlich keine wirklichen dramatischen Partien sind. Welche Partien sind für Sie dramatisch ?

J.C.: Ich denke, die Klassifizierung ist ein Fehler. Eine Sache ist es, dramatisch zu sein, eine andere, ein Schreihals zu sein. Du kannst das intensivste Drama Deines Lebens in völliger Stille erleben. Und das ist der Fehler. Die Leute sagen, Otello ist ein Drama, deshalb mußt Du schreien. Ich denke, es ist das Drama eines Mannes, eines großen Generals, eines armen, menschlichen Geschöpfes, das in den letzten 24 Stunden seines Lebens in Stücke zerbricht. Wie kann man da schreien ? Wenn Du nicht in der Lage bist zu agieren, Gefühle und Leiden ohne zu schreien auszudrücken, dann schreist Du. Die Rolle ist dramatisch, nur sollte man dramatisch nicht als Synonym für Schreien betrachten, das ist der Fehler. Samson ist eine dramatische Rolle, doch das ganze Duett im zweiten Akt ist lieblicher, gefühlvoller Gesang. Die dramatisch stärksten Szenen im Film, im Theater, in der Oper geschehen in der Stille.

B.P.: Welche Pläne und Herausforderungen bleiben, wenn man bereits mit 35 Jahren Otello singt ?

J.C.: Natürlich bin ich glücklich, daß ich in innerhalb von nur drei Jahren in 25 Rollen debütiert habe. Nun gilt es die Rollen zu verfeinern. Bei den Debüts ist jeder noch nachsichtig, schwieriger ist der anhaltende Erfolg. Nun, gilt es die Rollen jedesmal, wenn ich sie singe, zu verbessern und das ist sehr schwierig.

B.P.: Ist es nicht überwältigend innerhalb so kurzer Zeit so viele Debüts an großen Häusern  wie Covent Garden, Scala, Wiener Staatsoper zu haben ?

J.C.: Sicherlich und ich genieße es. Aber viele halten es für ein Wunder, aber das ist es nicht. Ich stehe seit meinem zwölften Lebensjahr auf der Bühne. Der heutige Erfolg ist das Resultat von 23 Jahren Arbeit auf diesen Moment hin.

B.P.: Sie sind von Ihrem Lehrer gewarnt worden, daß, wenn Sie erst einmal Otello singen, Sie keine andere Rolle mehr mögen würden ?

J.C.:  Ja, Vittorio Terranova hat mich gewarnt, daß die Gefahr von Otello ist, in Berührung mit perfekten Dingen zu kommen. Wie, wenn man die schönste Landschaft erblickt, den allerbesten Wein trinkt. Du fragst Dich danach, was kann jetzt noch kommen ? Das ist das Problem mit Otello. Nicht der Gesang, wenn man ein guter Schauspieler und intelligent genug ist, dann wird man diesen Charakter darstellen können. Das Problem, so sagte mir Vittorio Terranova, ist, wenn man ihn einmal gesungen hat, dann bleibt kein weiterer Weg mehr zu gehen. Es ist das Meisterstück aller Meisterstücke. Selbst die unglaublichsten Opern wie 'Samson et Dalila' oder 'Carmen' besitzen Schwachstellen. 'Otello' ist von Anfang bis Ende ein Aha-Erlebnis. Du beendest die Oper und kommst nicht aus dem Charakter von Otello heraus. Das ist Otello.

Das Interview führte Birgit Popp.

 

Auftritte von José Cura

The Washington Opera (Hausdebüt)
Samson et Dalila mit Denyce Graves und Plácido Domingo als Dirigenten: 10. (Premiere), 12., 15., 18., 21., 23., 25., 28. November 1998

 

Jede gewerbliche Nutzung der Texte von `opera active' unterliegt den Copyright-Bestimmungen. Die Anfertigung von Kopien ist ausschließlich für den privaten Gebrauch zulässig. Alle Angaben ohne Gewähr.

 

opera active                  Opera Notes