Premierenbericht

Premierenbericht Der Freischütz

Bayerische Staatsoper München 31. Oktober 1998

Wolfsschluchtszene
Foto:
Wilfried Hösl
Einsteinstr. 171
81675 München
Am Samstag vor Allerheiligen hatte Carl Maria von Webers im tiefen Glauben verwurzelte Oper 'Der Freischütz' an der Bayerischen Staatsoper München Premiere. Dies gleich vorweg gesagt, bei den Vorhängen nach der Vorstellung mischten sich unter dem stürmischen Applaus auch einige Buh-Rufe, aber die dürften vor allem Staatsoper-politisch motiviert gewesen sein bzw., sofern sie Regisseur Thomas Langhoff und Bühnen- und Kostümbildner Jürgen Rose galten, war es wohl manch einem im Publikum eine zu traditionelle Inszenierung gewesen. Der Mehrheit der Premierenbesuchern hat die Inszenierung gefallen, Bemerkungen wie 'fantastisch' fielen gar. All' denen, die nicht in eine 1821 uraufgeführte Oper gehen, um ein modernes Theterstück zu sehen, kann diese Freischütz-Inszenierung empfohlen werden.

Und doch, trotz ihrer  mehr als eineinhalb Jahrhunderte währende Geschichte, kann man die Oper durchaus als aktuell ansehen. Nicht selten wird Webers geniales Werk als die Geburtsstunde der deutschen Oper gefeiert, obwohl es mit seinem Wechsel von gesprochenem Dialog und gesungenem Text eher noch die Züge eines Singspiels trägt. Als einer der Geburtsstunden für die Verwendung von Klangfarben und von Motiven, wie sie später von Wagner in stärkster Ausprägung aber auch von Verdi weiterentwickelt wurden, kann 'Der Freischütz' auf jeden Fall bezeichnet werden. Weber ist es als einem der ersten gelungen, die Charakterisierung von Menschen, Situationen und Gedanken durch die Klangfarbe einzelner Instrumente oder ihrer Kombination vorzunehmen und sie vor dem inneren Auge des Hörers lebendig werden zu lassen.

Doch nicht selten wird 'Der Freischütz' heute mit seinem übersinnlichen Charakter als schlecht aufführbar bezeichnet und von manchem Regisseur wurde die Wolfsschluchtszene, der zentrale Punkt der Oper, stark verfremdet, wenn nicht am liebsten ganz entbehrt. Aber gerade in unserer Zeit wächst die Beschäftigung mit dem Übersinnlichen und Übernatürlichen, der (Aber-)Glaube und der Okkultismus wieder stärker an. Noch aktueller, ja geradezu modern, sind Fragen wie die der Prüfungsangst, die Menschen zu Webers Zeiten wie heute den Drogen und Scharlatanen zuführen, oder, wie aus einem eigentlich guten, das Beste wollenden Menschen plötzlich ein Krimineller wird.

Diese innere Psychologie und Beziehung der Menschen zueinander interessiert auch Regisseur Thomas Langhoff am stärksten. So sagt der Intendant des Deutschen Theaters und der Kammerspiele in Berlin in einem Interview dem Hausmagazin der Bayerischen Staatsoper, "Wir haben zunächst einmal den leichten Weg der Ironisierung nicht mehr gewollt. Das ist vorbei, das war in den siebziger Jahren aktuell. Das würde mich nicht mehr interessieren - und mir ist auch nicht mehr so sehr nach Witz und Spaß zumute, weil ja im Moment die ganze Welt aus Unterhaltung besteht. Schon deshalb ist es mir ein Bedürfnis, die Sache in ihrem Kern sehr ernstzunehmen. Wir siedeln die Oper in Bayern, also im konkret ländlichen Milieu an, zeitlich allerdings nicht so streng fixiert, sagen wir: die Linie von Weber bis zu uns heute gezogen. Da in Bayern all diese gesellschaftlichen Traditionen wie Schützenfeste, Vereinsrituale und Staatsjagden noch lebendig sind, lag nichts näher als den Freischütz in einem Kunstbayern zu lokalisieren. Es ging uns aber darum einen Mikrokosmos zu bilden, der makrokosmische Dimensionen hat. Alles findet in einem kleinen Raum statt.  [...] Aber eben so, daß klar wird, die Geschichte spielt unter Menschen, nicht in irgendeinem abstrakten Raum." Auch zum Begriff der 'Nationaloper', der immer wieder in Bezug auf den Freischütz verwandt wird, äußert sich Langhoff, "Mit dem Begriff Nationaloper kann ich eigentlich nichts anfangen. [..] Alle Etiketten machen es den Dingen immer nur verdammt schwer. Nur drückt 'Der Freischütz' eben sehr viel von uns aus: die Oper zeigt nämlich, wie spießig wir noch sind, wie tief wir noch in dem Biedermeier und der Romantik stecken. Da gibt es nach wie vor noch viel Zopfigkeit, wenn wir z.B. den Ottokar mit den heutigen Politikern vergleichen. Wir sind bieder, gemütlich, etwas selbstverliebt, ein bißchen romantisch, ein bißchen naturverbunden - wir sind teilweise noch so wie diese Leute, die der Weber dargestellt hat. Deshalb ist es für mich tatsächlich eine sehr deutsche Oper." Eben diese Attribute setzt Langhoff in seiner Inszenierung um.

Schon auf dem während der Ouvertüre zu sehenden Bühnenvorhang hat Jürgen Rose in einer Art bayrischen Bauern- und Heilgenbildermalerei alle wichtigen Szenen einschließlich der Erzählung des Erbförsters Kuno von der Entstehung des Probeschusses festgehalten und so gibt der Prospekt ebenso wie die Ouvertüre den gesamten Verlauf der Oper und das Ringen der guten mit den bösen Mächten wieder. Der innere Bühnenrahmen ist mit einem Sammelsurium an Jagdtrophäen und Kruzifixen bestückt. Das eigentliche Bühnenbild gleicht einer Lichtung, auf dem sich ein einzimmriges Haus befindet, das fast wie ein Zelt wirkt. Je nach Szene ist die Rückseite oder das Hausinnere zum Zuschauerraum hingedreht. Das Haus, das des Försters Waldschlößchen als Bühne in der Bühne darstellt, ist mit reichlich grüner Patina überzogen. Etwas nachteilig mag sich dieses Bühnenbild jedoch für die oberen Ränge auswirken, da es den Klang etwas abschirmen könnte. Während der Wolfsschluchtszene ist das Haus hochkant gestellt, darunter öffnet sich sozusagen das Tor zur Hölle. In dieser Vertiefung steht der mit dem Schwarzen Jäger Samiel (Verkörperung von Satan) verbündete Jägergesell Kaspar, während er die Freikugeln gießt. Die Geister der Wolfsschlucht sind dunkel gekleidet und besitzen optisch sehr wirkungsvolle Tierköpfe als Masken. Langhoff und Rose entspannen eine gespenstische, am Ende rot erleuchtete Szenerie, die allerdings noch etwas mehr unter die Haut gehen könnte. Im dritten Akt kehrt das Bühnenbild zur idyllisch-romantischen Wald- und Waldschlößchen-Szene zurück.

FreischützAlles in allem eine den Charakter der Oper bestens wiedergebende Szenerie, die auch in der Wahl der Sänger für die Rollen ihr adäquates Gegenstück findet. Doch die Besetzung war es gewesen, die im Vorfeld der Premiere die Wogen hat höher schlagen lassen. Genauer gesagt, die Besetzung der Agathe. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, daß Cheryl Studer die Premiere und eine Vorstellungsserie singen und später Petra Maria Schnitzer die Rolle übernehmen sollte. Die Wienerin, die an der dortigen Staatsoper Ensemblemitglied ist und dem Münchner Publikum aus der 'Verkauften Braut', ebenfalls eine Langhoff-Inszenierung, bestens bekannt ist, hatte jedoch als Cover von Anfang an mitgeprobt. Während der Proben gelangten die Staatsopernintendanz und der seit dieser Saison das Amt des Bayerischen Generalmusikdirektors und des Musikalischen Leiters der Staatsoper begleitende Zubin Mehta zur Überzeugung, daß Cheryl Studer  derzeit die Anforderungen der Rolle nicht erfüllen würde. Eine Entscheidung, die von Cheryl Studer nicht akzeptiert wurde, und die daraufhin versuchte, ihr Publikum gegen die Staatsoperndirektion zu mobilisieren.  Darin dürfte auch die Ursache für die Buh-Rufe gegenüber Zubin Mehta bei der Premiere zu suchen sein, von der künstlerischen Seite dürfte das Orchesterspiel dazu wohl kaum Anlaß gegeben haben. Ebenso wenig Petra Maria Schnitzer, die bei den Vorhängen ebenfalls Buh-Rufe entgegennehmen mußte. Aber wenigstens waren die Buh-Rufer so fair gewesen, sich mit ihren Mißfallensbekundungen bis zum Ende der Vorstellung zurückzuhalten. Im Gegenteil, nach ihrer Arie 'Wie nahte mir der Schlummer ...Leise, leise, fromme Weise!' wurde sie mit großem Beifall auf offener Szene bedacht. Gelang es ihr doch alle Stimmungslagen, die Agathe in dieser Arie durchlebt, hervorragend auszudrücken, mit innigem Piano und großer Inbrunst in ihren leidenschaftlichen Ausbrüchen, mit hohem Rhythmusgefühl und bester Phrasierung. Auch in ihrer Kavatine im dritten Akt 'Und ob die Wolke sie verhülle' bestach Petra Maria Schnitzer mit großer Piani-Kultur und Einfühlsamkeit ihrer Stimme, wenngleich die Höhen noch etwas mehr Strahlkraft haben dürften. Aber auch darstellerisch war sie die ideale Verkörperung einer ernsten, mit dunklen Vorahnungen behafteten und doch tiefgläubigen, liebevollen Braut. Ihr zur Seite stand in ihrer Leb- und Schalkhaftigkeit Dorothea Röschmann, die bei den Vorhängen den stärksten Beifall erhielt. In den Höhen feurig, klar, sicher und mitreißend, im zweiten Akt in den tieferen Lagen nicht immer ganz im gleichen starken Maße überzeugend, was sie im dritten Akt aber mehr als wettmachte, hatte sie sich schnell in die Herzen der Premierenbesucher gesungen und gespielt. Peter Seiffert als Max war eine ebenso gut gewählte Besetzung. Stimmlich hervorragend präsent, bot er auch darstellerisch ein glaubhaftes 'gestandenes Mannsbild' mit Selbstzweifeln angesichts des Preises, um den es beim bevorstehenden Probeschuß geht (die Hand seiner geliebten Agathe und die Erbförsterei) und einer gewissen Portion Naivität. Auch die weiteren Rollen ließen kaum etwas zu wünschen übrig: Alfred Kuhn als väterlich gestrenger Erbförster Kuno, Ekkehard Wlaschiha mit dämonischem, manchmal etwas rauhem Baß als Bösewicht Kaspar, der mit einem sehr melodischen Bariton und herrschaftlichem Auftreten aufwartende Martin Gantner als Fürst, der den reichen Bauern Kilian verkörpernde Ulrich Reß und der selbst dem Fürsten mit seinem tiefen Baß Ehrfurcht gebietenden Eremiten Jan-Hendrik Rootering. Der Chor, die Volksmasse, spielt, ob in der Wolfsschluchtszene, ob als Brautjungfern- oder Jägerchor, eine tragende Rolle im Freischütz. Dieser Bedeutung wurde der von Udo Mehrpohl hervorragend einstudierte Chor bestens gerecht. 'Der Freischütz' ist in weiten Teilen eine sinfonische Oper, denkt man nur an die Ouvertüre oder an die Wolfsschluchtszene. Zubin Metha und dem Orchester hörte man an, mit welcher Spielfreude und mit welchem Gefühl, sie die von Weber gemalten Stimmungen in Klangbilder umsetzten. Ein hörbarer Genuß.

 

Birgit Popp

 

Weitere Vorstellungen: 7., 12., 15. und 19. November 1998, 3. und 6. Juli 1999

 

CD-Tip: 'Der Freischütz', Deutsche Grammophon, 1973, Gundula Janowitz, Edith Mathis, Peter Schreier, Theo Adam, Staatskapelle Dresden, Carlos Kleiber

Lese-Tip: 'Der Freischütz', Textbuch, Einführung und Kommentar, Kurt Pahlen, Piper Schott

 

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