Oper Frankfurt, 26. Oktober 2012
Chowanschtschina
Ein operales Highlight!
Wer insbesondere tiefe Männer- und Frauenstimmen und
große Chorszenen liebt, sollte sich die derzeitige, mit hervorragenden
Sänger-Darstellern besetze Serie von Mussorgskis Chowanschtschina
an der Oper Frankfurt nicht entgehen lassen (weitere Aufführungen: 28.
Oktober, 2. November 2012)!
Frank van Aken
(Fürst Wassili Golizyn), Askar Abdrazakov (Fürst Iwan Chowanski),
Clive Bayley (Dosifej)
Wie in seinem weitaus berühmteren Hauptwerk Boris
Godunow hat Modest P. Mussorgski (1839-1881) eine überaus packende
Musiksprache gefunden, die sich einerseits dem Duktus der russischen
Sprache anpasst, andererseits aber die Bilder im Kopf entstehen lässt,
ohne, dass eine genaue Textkenntnis der von politischen Machtkämpfen,
Glaube, Visionen, Verrat und enttäuschter Liebe geprägter Oper aus der
russischen Geschichte zur Zeit
Peters des Großen (1672-1726)
notwendig wäre. Die im März 2005 in der Regie von Christian Pade
entstandene Produktion der Oper Frankfurt kehrte nach sieben Jahren in der
musikalischen Neueinstudierung durch den Marseiller GMD Lawrence Foster
auf die Bühne der Oper Frankfurt zurück (die musikalische Leitung der
Vorstellung am 26. Oktober oblag dem Frankfurter Kapellmeister Hartmut
Keil). Als Mussorgski mit nur 42 Jahren starb, blieb seine Oper
Chowanschtschina unvollendet. Bis auf das Finale, das die
Strawinsky-Fassung (Paris 1913) mit dem Selbstmord der Altgläubigen
berücksichtigt, liegt der Frankfurter Produktion die letzte tiefgreifende
Rekonstruktion des Materials von Schostakowitsch (1960) zugrunde.
Askar
Abdrazakov (Fürst Iwan Chowanski), Chor- und Extrachor der Oper Frankfurt,
Besonders packend und ergreifend ist das Terzett der
politischen Kontrahenten und zugleich bis zu einem gewissen Grad Komplizen
im zweiten Akt. Während der moralisch verfallene Strelizenführer Fürst
Iwan Chowanski verkörpert durch den mit großer Bühnenpräsenz
ausgestatteten, russischen Bass Askar Abdrazakov (dem Dosifej der ersten
Wiederaufnahme der Saison 2005/06) und sein noch schwärzer klingender,
britischer Bass-Kollege Clive Bayley, der bereits als Claggert das
Frankfurter Pulikum in Brittens Billy Budd faszinierte, als Anführer der
fundamentalistischen Altgläubigen Dosifej für das Althergebrachte und die
russische Eigenständigkeit stehen, vertritt als Fürst Wassili Golizyn das
Frankfurter Ensemblemitglied Frank van Aken mit visionärer Tenorstimme und
die ihn bekleidenden hellen Orchesterklänge Russlands Aufbruch in neue
Zeiten in Richtung des westlichen Europas – ein Widerstreiten, wie man es
sich auch heute vorstellen könnte, ebenso wie die den Mächtigen
ausgelieferte, passive Masse des Volkes. Am Ende wird der ruhmreiche
Kriegsführer und Politiker Golizyn in Acht und Verbannung geschickt,
Dosifej geht mit seiner Anhängerschaft in den kollektiven Selbstmord auf
dem Scheiterhaufen, womit sie jedoch nur der Ermordung durch Peters
Anhängern zuvorkommen, und Fürst Chowanski wird durch Verrat getötet.
Daveda Karanas
(Marfa)
Besonders beeindruckend ist gerade auch die
reichhaltige Ausdruckskraft des äußerst glaubwürdigen Mienen- und
Gestenspiels von Askar Abdrazakov und Frank van Aken. Selbiges gilt für
die griechisch-amerikanische Mezzosopranistin Daveda Karanas, die in der
Partie der wahrsagenden, unglücklich verliebten Altgläubige Marfa ihr
Deutschlanddebüt gibt und besonders mit ihren eindringlichen, mystischen,
stimmlichen Tiefen zugefallen weiß. Hervorragend besetzt sind auch alle
anderen Partien, so die des verräterischen Schaklowiti mit dem
weißrussischen Bariton Ilya Silchukov, die des Fürsten Andrej Chowanski
durch den britischen Tenor John Daszak, der an der Oper Frankfurt 2009/10
als Kapitän Vere ebenfalls in Billy Budd debütierte, als auch die mit
Frankfurter Ensemblemitgliedern besetzten Partien des ängstlichen
Schreibers (Hans-Jürgen Lazar), des Strelizen Kuska (Michael McCown), der
besessenen Susanna (Britta Stallmeister), der von Andrej begehrten
Protestantin Emma (Barbara Zechmeister) und dem mal im Rampenlicht, mal
hinter der Bühne agierenden Mit-Hauptakteur der Oper, dem von Matthias
Köhler einstudierten Chor, und
das mit großer Klangfülle und Intensität die farben- und instrumentreiche
Komposition umsetzende Orchester der Oper Frankfurt..
Hans-Jürgen
Lazar (Schreiber, von den Männern hochgehoben),
Chor- und Extrachor der Oper Frankfurt
Text: Birgit Popp,
Photos: Oper Frankfurt - Wolfgang Runkel
Weitere Informationen, Termine,
Photos:
www.oper-frankfurt.de
|