Es ist alles eine Frage der Relation. Wenn ein tenorales Schwergewicht mit großer
Stimmbrillanz wie Johan Botha im Monatsspielplan angekündigt ist und dann am Abend
Haus-Tenor Keith Ikaia-Purdy singt, wie in der Tosca-Vorstellung
am 6. Dezember 2000 geschehen, dann ist eine gewisse Enttäuschung nicht zu verleugnen.
Anderseits könnten sich viele Häuser glücklich schätzen, wenn sie einen Tenor mit
solcher Stimme wie die Ikaia-Purdys als ersten Tenor aufzubieten hätten. Während ihm
'Vittoria! Vittoria!' nicht gänzlich gelingen wollte, so meisterte er mit Bravour und
schöner Linie seine Auftrittsarie 'Dammi i colori ..' als Cavaradossi und 'E lucevan le
stelle' im dritten Akt. Doch ein Opernsänger lebt nicht nur von seiner Stimme, sondern
ebenso von seiner Bühnenerscheinung und - ausstrahlung. Daran mangelt es Ikaia-Purdy,
wenn etwas anderes als der jugendliche Typus verlangt ist.Dies wird natürlich dann
besonders auffällig, wenn ihm eine solche Bühnenpersönlichkeit wie Falk Struckmann als
Widerpart gegenübersteht. Er verkörperte mit unglaublicher Eleganz bei gleichzeitiger
Machtausstrahlung und Verschlagenheit die besitzergreifende Figur des römischen
Polizeichefs Scarpia mit seinem schön geführten Bariton in glaubhafter Weise.
Eliane Coehlo
Eliane Coelho, die für ihre intensiven Rolleninterpretationen bekannt ist, gab die
Floria Tosca mit einem Touch zuviel Theatralik. Ihr 'Vissi d'arte' gelang ihr allerdings
sehr berührend und nuancenreich, ebenso ihr Duett im dritten Akt mit Cavaradossi. Daß
mit der kanadischen Juilliard-Absolventin Keri-Lynn Wilson eine weitere Frau ihr Debüt am
Dirigentenpult der Wiener Staatsoper gab, ist eine sehr begrüßenswerte Entwicklung. Die
junge Dirigentin, die schon bei zahlreichen Orchestern Nordamerikas am Dirigentenpult
gestanden hat und bereits die Tosca an der Oper in Nizza und in der Arena di Verona
dirigiert hat, besaß jedoch deutliche Probleme, das immer wieder zu stark auftrumpfende
Temperament der Wiener Philharmoniker zu zügeln und die Stimmen der Sänger zu vollen
Entfaltung kommen zu lassen. Zu laut 'schallte' auch der Chor aus den Festräumen von
Scarpias Palast zu Beginn des zweiten Aktes in sein Zimmer herüber und übertönte den
Wortwechsel zwischen Scarpia und Cavaradossi. Allerdings macht der Repertoire-Betrieb der
Wiener Staatsoper, in dem Orchesterproben für Repertoire-Vorstellungen eigentlich nicht
vorgesehen sind, es insbesondere Neueinsteigern am Dirigentenpult der Philharmoniker nicht
einfach.
Die Ernani-Vorstellung
am 5. Dezember 2000 (Premierenbericht)
zählte sicherlich nicht zu den Glanzlichtern - weder von Seiten der Sänger noch von Chor
und Orchester unter der Leitung von Paolo Carignani. Der einzige, der an diesem Abend mit
Stimme und Erscheinung zu fesseln vermochte, war Roberto Scandiuzzi als Silva, der am Ende
gegen das Wort Karl V. die Macht über sein Mündel Elvira gewinnt, weil sich Ernani der
Ehre und einem Schwur gehorchend an seinem Hochzeitstag mit Elvira selbst den Todesstoß
versetzt. Georg Tichy als Don Carlos, der während der Oper zu Karl V. gekrönt wird,
hatte, nachdem er am 22. November die Il trovatore-Vorstellung abgesagt hatte, wohl wieder
zu früh auf der Bühne gestanden und war in weiten Teilen mit seiner Stimme im
Zuschauerraum kaum zu vernehmen. Ines Salazar, als Leonora in Il trovatore gerade mit
größtem Lob bedacht, zeigte sich bei ihrem Rollendebüt als Elvira an der Wiener
Staatsoper zu Beginn der Vorstellung sehr zaghaft, gewann aber zunehmend an Sicherheit.
Roberto Scandiuzzi und Neil Shicoff in Ernani
Während Neil Shicoff als Ernani schon manchmal Mühe hatte, in der Inszenierung von
Graham Wick und dem Bühnenbild und den Kostümen von Richard Hudson seine Rolle nicht ins
Lächerliche abgleiten zu lassen, gelang dies Janez Lotric in der Titelpartie noch
weniger. Lotric, der wie auch am 9. Dezember für Giuseppe Giacomonin einsprang, nahm
zudem an diesem Abend auch stimmlich nicht gefangen. Aufatmen durften die Ernani-Fans am
9. Dezember 2000 mit der selben Besetzung und musikalischen Leitung. An diesem Abend
wollte alles stimmlich und musikalisch deutlich besser gelingen und man konnte von einem
zwar nicht überragendem, aber doch gelungenen Abend sprechen und sich neben der
beeindruckenden Baßgewalt von Roberto Scandiuzzi vor allem an der schön geführten, auch
in dramatischen Momenten einschmeichelnden Stimme von Ines Salazar erfreuen.
Die La bohème-Vorstellung
am 8. Dezember sah Krassimira Stoyanova in ihrem Rollendebüt an der Wiener Staatsoper als
Mimi statt der ursprünglich angekündigten Cristina Gallardo-Domas und Ingrid Kaiserfeld
an Stelle von Alexandra von der Weth als Musetta. Stoyanovas Rollendebüt gelang mit einer
in sehr schöner Puccini-Linie gesungenen und sehr einfühlsamen Darstellung der kranken
Mimi. Überzeugend war das Herren-Quintett mit Tito Beltrán als mit viel Schmelz und
Höhensicherheit singender Rodolfo, Manuel Lanza als viel Spielwitz und baritonalen
Wohlklang verbreitender Marcello, einem sich stimmlich hervorragend entwickelnden Boaz
Daniel als Schaunard, einem in seiner Mantel-Arie als Coline glänzender Goran Simic und
einem als Benoit sein komödiantisches Talent entfaltender Alfred Sramek. Die musikalische
Leitung oblag Simone Young, unter deren Dirigat die Wiener Philharmoniker manchmal etwas
weniger hätten auftrumpfen dürfen, die andererseits in den lyrischen Momenten den
Sängern jedoch immer wieder Raum zur Entfaltung gab. Die naturalistische Inszenierung von
Franco Zeffirelli, der sich auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, hat auch in
der 279. Aufführung nichts an ihrem Reiz und ihrer Intensität verloren.
Birgit Popp