Die Wiener Staatsoper im
Juni 2002
Lucia di Lammermoor
Marina Vyskvorkina - neuer Stern
am Koloraturen-Himmel
Es ist beachtenswert, auf welch hohem
Niveau die Wiener Staatsoper mit ihrem Chor und Orchester,
Ensemblemitgliedern, Gastsängern und den hinter den Kulissen tätigen
Akteuren in der Lage ist, zwei Häuser an einem Abend zu bespielen. Im
Juni stellte sie dieses Vermögen gleich an mehreren Abenden
eindrucksvoll unter Beweis. Eine großartige Neuentdeckung gab es dabei
unverhofft am 14. Juni mit der jungen ukrainischen Sopranistin Marina
Vyskvorkina zu feiern, die an diesem Abend als auch bei der Vorstellung
am 17. Juni für Inva Mula einsprang, und ein glänzendes Hausdebüt
feierte. Obwohl die heute in Prag lebende Künstlerin die Partie der
Lucia bereits an einigen Häusern in Italien und den USA mit Erfolg
gesungen hat, an so einem großen und bedeutenden Haus wie die Wiener
Staatsoper hat sie noch nicht auf der Bühne gestanden. Doch sie kam,
sah und siegte mit unglaublicher Gelassenheit und Sicherheit, mit
wunderschöner, klarer, alle Schwierigkeiten der Partitur - und dazu zählt
nicht nur die Wahnsinns- Arie – meisternder Stimme. Auf wunderbarer
Weise verbanden sich die Solo-Instrumente mit den höchsten Lagen ihres
Soprans, in dem sie zudem ein Großmaß an Ausdruckskraft, Gefühl und
Sensibilität hineinlegte. Eine berührende Darbietung, die den Beifall
des ganzen Hauses, einschließlich ihrer Sangeskollegen fand. Daß sich
mit diesen Auftritten an der Wiener Staatsoper auch die Türen der
anderen bedeutenden Häuser geöffnet haben dürften, kann kaum in Frage
gestellt werden. Neben der Lucia umfaßt das Repertoire der Sägerin
Rollen wie die der Traviata, Gilda, Juliette, der Königin der Nacht,
Antonia, Olympia und Giulietta aus Les Contes d'Hoffmann. Ihren nicht
einfachen Namen Vyskvorkina darf man schon einmal üben auszusprechen,
denn man wird sich ihn merken müssen.
Tito Beltran als Herzog
Klare, klangvolle Spitzentöne mit
Leichtigkeit und Durchschlagskraft gelangen auch dem chilenischen Tenor
Tito Beltran als Edgardo, der zu spät zurückkehrt, um die arrangierte
Heirat von Lucia und dem Grafen Arturo noch zu verhindern. Auch in der
Rolle des Arturo gab es zu Beginn dieser Aufführungsserie am 6. Juni
ein Rollendebüt durch John Nuzzo. Der amerikanische Tenor meisterte
diese undankbare Rolle mit nur kurzem Auftritt mit schöner, gut
phrasierter Stimme, bevor er durch seine frisch angetraute Gemahlin in
der Hochzeitsnacht erstochen wird.
Manuel Lanza - hier in der Rolle des Valentin in
Faust am
Teatro alla Scala (Photo: Armando Rotoletti)
Verursacher all dieses Übels ist der intrigante Bruder Lucias
Enrico, den Manuel Lanza mit melodiösem und zugliech voluminösen,
zwischen Zorn und über die Folgen seiner Intrigen erschreckender Reue
wechselndem Bariton Gestalt verleiht. Dan Paul Dumitrescu gibt einen würdevollen
Erzieher Raimondo mit wohlklingendem Baß. Eine Freude fürs Auge ist
die stimmige Inszenierung von Boleslaw Barlog mit dem Bühnenbild von
Pantelis Dessyllas und den Kostümen von Silvia Strahammer aus dem Jahr
1978. Hier besteht zwischen Libretto, Musik – am Dirigentenpult von Frédéric
Chaslin umgesetzt – , Bühne und Darstellung noch eine wohltuende
Einheit. (bp)
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