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Gespräch mit Giancarlo del Monaco
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Herr del Monaco, 'Cavalleria rusticana' und 'Pagliacci' erlebten zu ihrer Entstehungszeit einen durchschlagenden Erfolg, wie kann man heute noch eine ebenbürtige Wirkung erzielen ? Wie oft haben Sie die beiden Stücke bereits in Deutschland inszeniert ? Giancarlo del Monaco: Es ist meine sechste Produktion von 'Cavalleria' und 'Pagliacci' in Deutschland, aber ich habe immer mit anderen Sängern, Dirigenten und Bühnenbildnern gearbeitet. Meine erste Produktion war 1978 in München mit einer hervorragenden Besetzung: Rysanek, Domingo Brendel. Die zweite fand in Stuttgart statt, die dritte in Hamburg. Die beiden Werke bieten verschiedene Perspektiven. Ich starte von dem Gesichtspunkt, daß die beiden Stücke untrennbar sind. Nicht ein erster und ein zweiter Akt, aber sie sind für mich 'siamesische Zwillinge'. Von einander getrennt, habe ich das Gefühl, daß das eine ohne das andere nicht mehr die Kraft hat, die es haben sollte. Ich finde, diese Strukturierung von 'Cavalleria' und 'Bajazzo' ergibt einen idealen Opernabend. Einen sehr aggressiven, einen sehr undeutschen Opernabend im Sinne der Handlung und der Atmosphäre. Die Leute sprechen immer von Verismo bei diesen beiden Stücken. Sie werden immer angeboten zwischen Verismus und Naturalismus. Diese merkwürdige naturalistisch-veristische Palette habe ich auch einmal inszeniert. Mich interessieren heute aber vor allem andere Gesichtspunkte. Für mich ist die Geschichte der 'Cavalleria' in Wirklichkeit die Geschichte von Medea. Eine fremde Frau, die aus einer anderen Stadt oder Dorf kommt, ist verlassen in einem ihr fremden Dorf, da sie nicht akzeptiert und nicht geheiratet wird. In der Mythologie hinterläßt sie die Stadt in Schutt und Asche, hier hinterläßt sie nur Leichen im Sinne von Messerleichen, keine mythologischen Leichen, keine biblischen Leichen. Aus dieser Annäherung zu der Tragödie habe ich mir gedacht, es ist möglich, aus der 'Cavalleria' alles Folkloristische herauszunehmen. Natürlich das Folkloristische, was komponiert ist, was da ist, über nimmt eine Background-Musik. Es ist etwas glücklich im Hintergrund, irgend jemand ist glücklich da hinten. Aber was auf der Bühne ist, ist die totale Unglücksseligkeit. Wir haben ein schwarzweißes Bühnenbild, so wie die Gefühle in der 'Cavalleria' sind. Es sind keine braun-grüne Gefühle, es sind schwarzweiße Gefühle. Entweder oder. Wir so inszeniert, daß so wenige Menschen wie möglich auf der Bühne sind. Keine Landleute, keine Orangenverkäufer, alles weg. Soweit es ging. So streng wie möglich. Im Sinne einer griechischen Tragödie, oder, wenn Sie so wollen, im Sinne einer Bluthochzeit, also Garcia Lorcas. Das ist eine Chance für dieses Stück. Was Bajazzo betrifft, die Menschen in der 'Cavalleria' handeln, sind archaische Menschen. Es gibt einen Unterschied zwischen Sizilien und Neapel, obwohl es als Königreich der Borbonen ein einziges Königreich war. Es gibt genauso einen Unterschied wie zwischen Kiel und München, noch mehr. Ich glaube, zwischen Bayern und Hamburgern gibt es nicht so viele Unterschiede wie zwischen Neapel und Palermo oder in dem Inneren Siziliens. Und deswegen sind die Menschen auch ganz anders. In 'Cavalleria' sind das hierarchische Menschen, die einem Ritual folgen, das sich jeden Sonntag wiederholt in dieser Art und Weise. Wer aus der Reihe tanzt, der wird hingerichtet. Im 'Bajazzo' ist es eine Welt von Individualisten und Chaoten. Sehr oft habe ich einen 'Bajazzo' gesehen, in dem man die beiden Harlekine darstellt, als seien sie zwei Herren von Strehler. In Wirklichkeit sind es die billigsten Komödianten, die es gibt. Schmierenkomödianten. Und das wollen wir auch andeuten. In Wirklichkeit sind es nicht Menschen, die sich ausziehen und ein Kostüm perfekt anziehen, so wie diese Figurinen der Commedia dell' arte. Nein, es sind Menschen, die auf ihre eigene Kleidung Fetzen darauf anziehen. Auch fluchtfertig: Achtung die Künstler kommen ! Wie haben sie gelebt ? Von Almosen -und diese Atmosphäre wollte ich wiederholen. Deshalb habe ich auch diesen 'Bajazzo' ein bißchen mehr in die Nähe einer industriellen Gesellschaft gebracht, wo das Gefühl der Armut präsenter ist. Im Gegenteil zu 'Cavalleria'. Auch dort ist die Armut vorhanden, aber der Stolz der Menschen macht sie nicht präsent. Den beiden Stücken haben wir ein gemeinsames Bühnenbild gegeben und durch eine Variante die Ortsbestimmung verändert. Wir haben diese Gassen, die fast wie Eisbergplatten wirken, in 'Cavalleria' - dieses Schwarzweißes gegen starkes Licht. In 'Bajazzo' bringen wir durch eine große zentrale Drehung des Bühnenbildes das Ganze in einen anderen Ort. Es gibt in beiden Stücken auch einen ähnlichen Vorgang. Die Santuzza öffnet den Vorhang der Erinnerung und schließt ihn auch wieder, wenn das Drama zu Ende ist. Und der Tonio, der den Prolog singt, öffnet noch mal den gleichen Vorhang und schließt ihn wieder mit 'La commedia è finita'. Hier wird 'La commedia è finita' vom Bariton gesagt und nicht wie gewöhnlich vom Tenor. Ich möchte auch die gesamte Konzeption ein bißchen stilistisch als expressionistisch betrachten. Die beiden Stücke habe ich versucht, in der Nähe des Expressionismus zu inszenieren. Im Gegensatz zu naturalistischen, veristischen oder auch anderen Konzeptionen. ? Was die aktuelle Cavalleria-Pagliacci-Inszenierung betrifft, Herr del Monaco sagte, daß er nicht unbedingt eine Verismus-Auffassung in der Frankfurter Konzeption gibt. Es ergibt sich ja auch musikalisch durch die Zwischenspiele und andere Akzente, daß man die Oper nicht einfach dem Aspekt Verismus oder Naturalismus zuordnen kann. Würden Sie für Ihre Auffassung der beiden Stücke auch diesen expressionistischen Gestus in den Vordergrund stellen ? Oder wie würden Sie heute die beiden Stücke deuten aus Ihrem Hintergrund der italienischen Erfahrung, Emphase und Engagiertheit ? Paolo Carignani: Man kann jeden Tag in der Zeitung genau das lesen, was in der 'Cavalleria' und im 'Bajazzo' geschieht. Verismo existiert nicht in einer speziellen Zeit, sondern er war gestern, heute, morgen. Die griechische Tragödie, okay, aber ich denke, die Musik ist nicht von heute oder von morgen. Es ist eine sehr alte, ja altmodische Musik. Das ist Realismus in der Brutalität des Gefühls. Aber die Musik besitzt eine traditionelle Harmonie. So kann ich aus diesem Grund nicht sagen, daß es eine expressionistische Musik wäre. Das gilt für die Musik. Aber ich akzeptiere die Idee von Herrn del Monaco. Sie ist sehr interessant für die Bühne und ist etwas anderes, wie das, was wir bis heute gesehen haben. G.d.M: Ich habe eine alte Rechnung mit 'Cavalleria' und 'Bajazzo' zu begleichen. Als ich 1964 nach Deutschland kam, hatten die Deutschen eine merkwürdige Einstellung zu den Menschen von 'Cavalleria' und 'Bajazzo'. Ich erinnere mich, ich sah meine erste 'Cavalleria'/ 'Bajazzo' in Dortmund. Ich glaube, es war 67. Da traten in 'Bajazzo' alle Leute in gelben und grünen Jacken auf. So, wie man sich den Südländer in den sechziger Jahren vorstellte, Papagallos. Da gab es Schuhe mit zwei Farben und weiße Hosen mit grünen Jacken. Ich weiß nicht, ob Sie sich an diese Auffassun vom Süden erinnern. Damals kamen noch nicht so viele Leute bis in den Süden. In Wirklichkeit treffen Sie, wenn Sie nach Neapel gehen, natürlich die Farben der Natur. Aber die Gebäude haben alle ihre alten Amber-Farben, natürlich überdeckt vom Smog. Aber sie haben alle eine ganz andere Farbe, wie man sich damals in dem Stück vorgestellt hat. In 'Cavalleria' noch mehr. Dort kamen Südländer auf die Bühne mit roten Röckchen und Glöckchen und alles wirkte sehr folkloristisch, operettenhaft. Es war eine Operette mit tödlichem Ausgang. Und da habe ich mir immer gesagt, ich bin sizilianischer Abstammung. Ich habe oft in Sizilien gearbeitet und meine Verwandtschaft besucht und ich weiß, um so mehr man nach Sizilien hineingeht, um so weniger ist die Farbe da. Um so mehr hat die Natur ihre Farben. Ihr Licht. Licht ist hauptsächlich Farbe. Hell und dunkel. Schatten und weiße Schnitte, durch diese enge Gassen gegeben. Und in Wirklichkeit sind die Menschen praktisch alle vom gleichen Schneider serviert. Sie haben einen schwarzen Hut a la Coppola, keinen Borsalino, das wäre zu elegant; dann haben sie diese weißen Hemden ohne Krawatten, schwarze Hosen, schwarze Jacken. Sie besitzen in ihrem Leben zwei Paar Schuhe, eines für die Arbeit und eines für den Sonntag. In Wirklichkeit eine sehr unifizierte Gesellschaft und es ist total umgekehrt, als das, was sich die Deutschen hier vor dreißig Jahren vorgestellt haben. Jetzt wissen wir durch die Filme, Sizilien, Mafia usw., wie es dort ist. Als ich nach Deutschland kam, war eines meiner ersten inneren Gefühlen, daß ich zeigen muß, wie diese Welten wirklich sind. Absolut eine vorindustrielle Welt, das ist Bajazzo, das ist La Strata von Fellini, wenn wir so wollen, um etwas zu zitieren. 'Bajazzo' und 'Cavalleria' sind Verga und Verga ist die Armut im Süden. Die einzige Farbe, die man trägt, ist schwarz. Beim Begräbnis ist es schwarz und bei der Hochzeit ist es schwarz. Am Ostersonntag ist es schwarz. Deshalb diese schwarzweiße Dramaturgie, (grelles) Licht und (schwarze) Kostüme. 'Cavalleria' wollte ich besondersabheben und - ohne eingebildet wirken zu wollen - vielleicht diesem Stück in Deutschland die optische Ehre wiedergeben und so bin ich deshalb ein bißchen zum offiziellen Vertreter von 'Cavalleria' und 'Bajazzo' in Deutschland geworden. P.C.: Was für mich wichtig ist, ist die Brutalität der Gefühle. Wenn diese Gefühlswelt nicht mit der Kultur vereint ist, ist sie für mich universell. Es kann überall vorkommen. Dieses echt Primitive der Gefühle, das kommt über die Musik zum Ausdruck. In dieser Musik gibt es absolut keine geographischen Anhaltspunkte. Es gibt zwar in der 'Cavalleria' die Siciliana, aber die ist auch nicht typisch für die Musikform. Lola singt ein Strophenlied, dies könnte auch aus Rom kommen. Es muß nicht sizilianisch sein. Ich glaube, was die Musik hier diktiert, bezieht sich auf nichts spezifisch Geographisches, sondern nur darauf, was wir in uns mit der Kultur abdämpfen oder mit den Überstrukturen aufbauen. Diese Strukturen verbergen, was man in sich trägt. Weil man dazu erzogen ist, aber es ist das Brutale, das echt Innere, das in jedem von uns vorhanden ist. G.d.M: Aber es ist sicherlich eine primitive Gesellschaft. In 'Cavalleria' könnte es Korsika sein, Südspanien, überall dort, wo gewisse Gesetze existieren, die Bauernehre. Diese Gesetze haben nichts mit staatlichen Gesetzen zu tun, sondern fundieren auf primitive Konventionen und Traditionen, da gibt es nichts zu scherzen P.C.: Aber das kann auch in Hessen passieren .... G.d.M.: Aber das müssen Italiener sein. Man kann so etwas auch in einer Großstadt erleben, aber aus meiner Sicht immer aus der Ethnik heraus, aus der die Menschen stammen. P.C.: Es kann mehr oder weniger unterdrückt sein, aber es gibt es in allen von uns. Da ist es nicht wichtig, ob es eine Hesse ist.
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