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Das Traum- fresserchen - Wie die Oper entstand

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Enstehungsgeschichte und Absicht der 'Väter' des Werkes

"Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleib't., ist ein Mensch..."

Wilfried Hilier suchte 1978 nach Kinderschallplatten, und als die Wahl zwischen 'anspruchsvollen' (i.e. 'Die kleine Nachtmusik' oder Beethovens 'Pastorale') und 'normalen' Billighörspielen sich als unbefriedigend erwies, versprach Hiller seinem kleinen Sohn, selbst etwas zu erfinden: der wünschte sich 'den von Jim Knopf'' als Textautor. Kurz darauf führte ein Stipendium der Vi!la Massimo Hiller nach Rom und ein gemeinsamer Bekannter vermittelte die Begegnung mit Michael Ende.

Die ersten Stücke, 'Tranquilla Trampeltreu' und 'Lindwurm und Schmetterling', waren zunächst nur für die Schallplatte gedacht. Daß sie inzwischen, ebenso wie 'Norbert Nackendick, das nackte Nashorn' an verschiedenen Theatern auf die Bühne gebracht wurden, ist auch für die Väter der verselbständigten Geschichten eine Überraschung.

"Kindem ist es schon lieb, wenn sie auf Schallplatten eine Posaune oder Klarinette in höchster Perfektion hören, und so haben wir die Stücke aufgenommen. Aber es fasziniert mich, daß nun, beispielsweise in Darrnstadt, die Stücke abgesehen von Regisseur, Bühnenbildner und Dirigent, ausschließlich von Kindem unter 16 aufgeführt werden können", erklärt Hiller. "Beim, 'Traumfresserchen', in dieser Hinsicht eine ganz normale Oper, ohne Erzähler, mit bühnenspeziftscher Dramaturgie, wird das nicht möglich sein."

Eine strenge Grenzlinie zwischen Theater für Erwachsene und Theater für Kinder möchte weder Hiller noch Ende ziehen. "Die Grenze kenne ich künstlerisch überhaupt nicht. Es gibt Dinge, die vielleicht zu grausam sind, die man Kindem nicht zumuten sollte, weil sie sie zu sehr belasten würden. Aber von der künstlerischen Qualität gibt es für mich keinen Unterschied. Ein Buch, das es nicht wert ist, von Erwachsenen gelesen zu werden, ist es schon gar nicht wert, von Kindem gelesen zu werden," sagt Michael Ende. Wilfried Hiller zitiert Erich Kästner: "Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch", und er fügt hinzu: "Es ist allerdings sehr schwer, für Kinder zu schreiben. Wenn einem Kind etwas nicht gefällt, schaltet es sofort ab. Ich habe das immer an meinem Sohn getestet. " (Der ist inzwischen fast erwachsen und übt seine inspirierende Wirkung, vor allem hinsichtlich der Schlagzeugpartien in Hillers Werken aus.) "Kinder stehen auf und gehen, Erwachsene bleiben da und langweilen sich auf hohem Niveau. Bei Erwachsenen kann man durch raffinierte lnstrumentation bluffen, bei Kindem nicht. Da muß eine Sache wirklich auf den Punkt kommen", erläutert Hiller diese Beobachtung, die er oft gemacht hat.

\/Vichtig ist, daß die Geschichten die Phantasie der Kinder in Gang bringen; sie beschäftigen sich lange mit dem, was sie im Theater erfahren haben. Von einer Lehre mit erhobenem Zeigefinger halten Hiller und Ende aber nichts und verneinen heftig die provozierende Frage: Lehrt das 'Traumfresserchen', daß man nicht hinter verbotenen Türen nachschauen soll? "Das wäre, wie wenn man bei Otello sagen würde, die Moral sei: Du sollst nicht eifersüchtig sein", meint Hiller und erläutert, wie sein Verständnis der Geschichte sich musikalisch ausdrückt: "Für mich ist diese Geschichte einfach die Findung des Mädchens zu sich selber. Sie steigt hinab in den Keller, das Unbewußte, und findet dort ein Wesen, das sie schließlich befreit. Ich habe das auch mit musikalischen Mitteln geschildert, nicht todemst, sondern mit Augenzwinkern: Es hat jede dieser Hauptfiguren ihre Musik, die sie charakterisiert. Der König hat die Harfe mit würdigen Akkorden, die Königin hat die Streicher, das Schlafittchen wird im Laufe des Stücks von allen möglichen Instrumenten begleitet und erst am Schluß, beim Tango, wenn sie sagt: "So ietzt schaff' ich es, jetzt finde ich die Melodie vom Traumfresserchen", hat sie das Saxophon, und das wird zu ihrem Instrument. Ich versuche, solche Dinge mit musikalischen Mitteln darzustellen; ob's einer so merkt oder nicht, ist egal - unterbewußt bekommt er es doch mit. Und diese Entwicklung, die das Mädchen mitmacht, ist für mich das Wichtigste an der ganzen Geschichte, mit allen Schwierigkeiten, die es da zu überwinden gibt."

Michael Ende widerspricht dem Versuch, einen Lehrsatz von der Art 'Du sollst Verbote nicht übertreten", im 'Traumfresserchen' zu entdecken, ganz grundsätzlich:"Wenn die Prinzessin nicht nachgeguckt hätte, hätte sie ja nie den Spruch erfahren, mit dem man das Traumfresserchen rufen kann, und damit auch allen Kindern die Möglichkeit gegeben, das Traumfresserchen zu rufen. Schon die Bibel geht ja damit los, daß ein Verbot überschritten wird, und damit wird die ganze Menschheitsgeschichte in Gang gesetzt. Damit beginnt es. Fast alle Geschichten beginnen mit einer Verbotsüberschreitung oder Tabuverletzung, auch viele Märchen: Am Anfang wird einem Verbot zuwidergehandelt, das setzt die Geschichte in Gang, dann wird ein langer Weg zurückgelegt, und am Schluß zeigt sich eben, daß der Weg das Ziel war." Aber die Interpretationsmöglichkeiten stehen ihm nicht an erster Stelle. "Mir geht es eigentlich darum, Bildergeschichten zu erzählen, weil ich glaube, daß Bilder immer viel mehr sagen als Begilffe. Die ursprüngliche Sprache des Menschen ist eine Bildersprache, unsere Träume finden in Bildem statt, und in gewissem Sinn ist jeder Mensch, wenn er träumt, ein Poet. Al' die Mythen und Märchen, also die älteste Form der Literatur, sind Bildergeschichten.' (... )

Wenn er Texte für Musik schreibt, singt Michael Ende die Texte für sich, begleitet sie auf der Gitarre. Aber den Komponisten läßt er das nur auf ausdrückliche Nachfrage hören. "Manchmal regt das an. Er macht dann etwas ganz anderes daraus, aber er kann erkennen, in welcher Stimmung ich einen Text geschrieben habe." Wilfried Hiller ist glücklich mit dem Raum, den Michael Ende ihm und seiner Musik läßt: "Er ist überhaupt nicht pingelig mit seinen Texten. Ich habe von der ganzen Szene, in der Schlafittchen in den Keller hinabsteigt, nur einen einzigen Satz gelassen. Als ich ihm das sagte, meinte er, "Wenn es der richtige Satz war, ist es ja gut." Alles andere habe ich musikalisch umgesetzt, zum Teil mit Mitteln, die ich bewußt aus der Filmmusik übemommen habe. Aus den Filmmusiken von Charlie Chaplin habe ich sehr viel für meine Stücke gelernt, vor allem Musik mit Bewegung zu synchronisieren. Aber indem Michael Ende eine Szene vorschreibt, kann ich den musikalischen Ausdruck finden, ohne stets allen Text zu komponieren."

Magisches Theater - was heißt das für den Zuschauer ? Michael Ende: "Erwachsene haben sich leider daran gewöhnt zu meinen, es seien die magische Welt, die Welt, wo das Wünschen noch hilft, wo man eben zaubem kann, und die rationale Welt völlig getrennt in uns. In Wirklichkeit ist das ja gar nicht so getrennt. Der ideale Theaterbesucher will sich einlassen auf die Verzauberung der Bühne. Ich glaube nicht, daß das Theater dazu da ist, den Menschen zu belehren. Da ist die Kanzel oder der Katheder ein geeigneterer Ort. Man geht nicht ins Theater, um belehrt zu werden. Man geht auch nicht ins Theater, um aufgeklärt zu werden. Das Theater hat eine ähnliche Funktion in der Gesellschaft wie die Träume im Leben des einzelnen Menschen. (... ) Das Theater ist der Ort der schönen, aber auch der schrecklichen Träume, die der Mensch braucht oder die die Gesellschaft braucht, um gesund zu bleiben. Und dazu muß das Theater dieser Ort des schönen oder schrecklichen Wahnsinns sein. Wenn überhaupt, bin ich sehr vorsichtig mit solchen Ausdrücken und bekomme auch sofort Zweifel, wenn ich sie ausspreche - aber: viel eher, als daß das Theater einen aufklärerischen oder belehrenden Effekt ausübt, hat es für mich einen therapeutischen."

aus dem Opernjournal der Bayerischen Staatsoper 91/92-3 von Barbara Maria Zollner

(Michael Ende verstarb am 29. August 1995)

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