Roberto Scandiuzzi - als Attila gefeiert
Ein Fest der Stimmen
unter der Leitung von Paolo Carignani
Ein geeintes Italien ist stark gegen die österreich-französische Fremdherrschaft.
Dieser Überzeugung war Verdi und er traf den Zeitgeist, ja fachte ihn an, als seine Oper
über den Hunnenkönig Attila die italienischen Opernhäuser eroberte. Der Uraufführung
am Teatro la Fenice in Venedig am 17. März 1846 in der damaligen Karnevalszeit war zwar
noch nicht der ganz große Erfolg beschieden, doch dies sollte sich sehr bald ändern. Vor
allem die Worte des römischen Heerführers Ezio 'Du sollst das Universum haben, aber
laß' Italien mir' schrieben sich die Patrioten auf ihre Fahnen. Die Glanzzeit des Werkes
verblaßte erst, als Opern wie Rigoletto (1851), Il trovatore (1853) und La traviata
(1853) das Werk von den Bühnen verdrängten. Zu unrecht, denn Verdis Oper ist reich an
beeindruckenden, kontrastierenden Musikstücken - sowohl der Solisten als auch des Chores
- und mit einer farbenreichen und effektvollen Instrumentierung versehen.
Die Handlung des von Temistocle Solera und Francesco Maria Piave nach der Vorlage des
1808 erschienen Schauspiels des romantischen, deutschen Dramatikers Zacharias Werner
ausgearbeiteten Librettos spielt im Jahr 451 in Italien. Attila (Baß) ist mit seinen
Kriegern in Norditalien eingefallen und hat die Stadt Aquileja erobert, dem Erdboden
gleichgemacht und ihren König ermordet. Dessen Tochter Odabella verschont Attila jedoch,
weil er ihren Mut bewundert, ja, schenkt ihr sogar sein Schwert. Sie schwört, ihren Vater
zu rächen, und willigt nur zum Schein in eine Heirat mit Attila ein. Der von Attila
geachtete, römische Feldherr Ezio, verärgert über die Schwäche seines noch
jugendlichen Kaisers, schlägt Attila einen Pakt vor: ihm, den Hunnenkönig die
Weltherrschaft, wenn er, Ezio, die Macht über Italien erhält. Attila lehnt diesen
verräterischen Plan empört ab. Mit Odabellas Hilfe, die ihre eigenen Rachepläne
durchkreuzt sieht, entgeht Attila einem Giftanschlag durch Foresto (Tenor), Odabellas
Verlobten aus Aquilejanischer Zeit, dem sie jedoch zur Flucht verhilft. Am Ende ist es
Odabella, die Attila den todbringenden Schwertstoß versetzt, während Ezios Heere die
hochzeitfeiernden Hunnen überwältigen.
Gemeinsam sind wir stark - das gilt auch für die Alte Oper und die Oper Frankfurt. Das
mit Sängerprominenz nicht eben verwöhnte Frankfurter Publikum durfte in dieser
Gemeinschaftsproduktion einen Weltstar wie den italienischen Baß Roberto Scandiuzzi
feiern. Er hat die Rolle des Attila vom rücksichtslosen Eroberer über den aufrechten
Kämpfer bis hin zum von der Liebe ergriffenen, gar von himmlischen Erscheinungen in
seiner Standfestigkeit beirrten König in all ihren Facetten verinnerlicht und gibt sie
mit berührendem Timbre, sicherer und geschmeidiger Stimmführung durch alle Register und
Gefühlsmomente, großen Linien, hervorragender Wortverständlichkeit und großartiger
Ausstrahlung.
Ursprünglich war mit Michèle Crider als Odabella an seiner Seite ein weiterer
Weltstar vorgesehen gewesen, doch die amerikanische Sopranistin sagte in der Woche vor dem
18. Februar wegen Erkrankung ab. Vertreten wurde sie mehr als würdig von der jungen,
griechischen Sopranistin Dimitra Theodossiou, die 1995 am Athener Opernhaus als Violetta
in La traviata debütiert hat. Zu ihren Rollen zählt die Koloratursopranistin, die in
Deutschland bereits in Wiesbaden, Karlsruhe und Kassel aufgetreten ist, außerdem die
Titelpartien von Anna Bolena, Lucia di Lammermoor und Norma, Violetta, Donna Anna, Leonora
(Il trovatore), Desdemona und Liù. Als Odabella erlebte sie 1999 einen großartigen
Erfolg in Bologna und Parma, den sie nun in Frankfurt wiederholen konnte. Mit ihrer
kraftvoll leuchtenden, intensiven dramatischen Stimme, die auch zu den feinsten Piani
fähig ist, zählt sie heute zu den interessantesten Verdi-Interpretinnen.
Der Eindruck konnte nicht verwehrt werden, daß sich die Sänger gegenseitig
beflügelten. So bot das Frankfurter Ensemblemitglied Zeljko Lucic einen beeindruckenden,
Attila ebenbürtigen, römischen Feldherrn Ezio mit seinem geschmeidigen, farbenreichen
und voluminösen Bariton. Der amerikanische Tenor Martin Thompson ist in Frankfurt
ebenfalls kein Unbekannter. Mit großem Erfolg hatte er den Des Grieux in Puccinis Manon
Lescaut an der Seite von Zeljko Lucic (Lescaut) gegeben. Seinen imposanten,
ausstrahlungsstarken Tenor führte er als Foresto klar und sicher durch alle Wechselbäder
der Gefühle. Die kleineren Partien des Uldino und des Papsts Leo I. waren bei den
Frankfurter Ensemblemitgliedern, dem amerikanischen Tenor Peter Marsh und dem
isländischen Baß Magnus Baldvinsson ebenfalls in guten Händen oder besser gesagt
Kehlen.
Für den monumentalen Stil dieses Werkes hat der Chor der Oper Frankfurt (Leitung:
Andrés Máspero) von der Kantorei Frankfurt (Leitung: Winfried Toll) Verstärkung
erhalten. Beide Chöre vereinten sich zu einem wohlklingenden Ganzen. Der
Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt Paolo Carignani, Absolvent des Giuseppe- Verdi-
Konservatoriums und heute an allen großen europäischen Opernhäusern wie in Wien, Paris,
München und Berlin tätig, konnte sich einmal mehr als wichtiger und zuverlässiger
Verdi-Interpret profilieren. Das Frankfurter Mueseumsorchester hielt die Hochspannung vom
Anfang bis zum Ende, litt und lebte unter seiner Stabführung mit den Protagonisten, trieb
das Geschehen voran. Manchmal etwas zu vollbrüstig, meistens aber in gut ausbalanciertem
Verhältnis zu Protagonisten und Chor. Auch ohne Bühnenbild und Inszenierung liefen Dank
Verdis Musik und ihrer gelungenen Umsetzung bei den Zuhörern die Geschehnisse plastisch
und verständlich vor dem inneren Auge ab. Die Standing Ovations des Frankfurter Publikums
wurden an beiden Abenden mit einer Zugabe belohnt. Solche operalen Highlights würde
Frankfurt gerne öfter erleben.
Birgit Popp