lgopno06Schatten.jpg (7788 Byte)

seit/since 1999


Neue Seite 3

Homepage

gbf.wmf (2006 Byte)  English

Editorial

Premieren

Berichte

Interviews

Portraits

Kinderoper

News

Links

 

 

 

Bregenzer Festspiele - Seebühne, 19. Juli 2012

André Chénier

Das Spiel auf dem See beginnt

Zum zweiten Mal nach 2011 hebt sich der immaginäre Premierenvorhang für Keith Warners Inszenierung von Umberto Giordanos packendem Meisterwerk Andrea (André) Chénier, dem Revolutionsdrama um den französischen Dichter adeliger Herkunft, der als nicht genügend radikaler Revolutionär mit nur 31 Jahren in Paris unter der Guillotine endete. Eine faszinierende Mischung aus einer romantischen Liebesgeschichte; eines immer aktuellen Revolutionsthemas, denn auch die heutigen Revolutionen verschlingen teils ihre Kinder und korrumpieren ihre Akteure, sobald sie selbst die Macht in Händen halten, und werfen die Frage auf, ob sich der Einsatz und die verlorenen Menschenleben gelohnt haben; einer unter die Haut gehenden Musik mit zahlreichen Arien, Duetten und Massenszenen; einem imposanten Bühnenbild mit Hightech-Performance ebenso wie menschlicher Akrobatik und Sängern, von denen neben gesanglicher Höchstleistung körperliche Fitness wie Mut abverlangt wird.

 Erstmals wurde dabei auf dem Bodensee durch den britischen Regisseur Keith Warner und seinem Bühnenbildner David Fielding ein Gemälde auf der Seebühne als Bühnenbild umgesetzt. Das Gemälde ‚Der Tod des Marat’ des Revolutionsmalers Jacques-Louis David zeigt den in seiner Badewanne mit einem Messer von Charlotte Corday erstochenen, radikalen Revolutionsführer Jean-Paul Marat, der einen Brief in der Hand hält, mit dem sich seine Mörderin Zutritt zu ihm verschaffte (die Einladung zum Ball bei Gräfin Coigny wechselt während der Oper zum Brieftext).

 

Tagsüber mit geschlossenen Augenlidern und Mund gibt die rund 26 Meter aus dem Bodensee ragende, sechzig Tonnen schwere Büste (der Wasserstand wechselt bis zu vier Metern) den Eindruck eines friedlich schlafenden Menschen. Dieser Eindruck ändert sich schnell, sobald das Spiel auf der Seebühne nach Sonnenuntergang begonnen hat, und variiert vom Toten mit geöffneten Augen und Mund bis zur Totenmaske, bei der Augen und Mund nur noch dunkle Öffnungen sind.

Öffnungen, aus denen während des Spiels auch die Solisten singen oder gar entsteigen. Die blinde Madelon opfert ihren Enkel als Rekruten der Revolution und verkündet dies aus dem Mund des Ermordeten. Die beiden Sänger des Spitzels Incredibile – Peter Bronder und Peter Marsh – seilen sich während ihrer Auftrittsarie aus dem rechten Auge des Marat auf die Buchkante ab – während gleichzeitig auf der Brief-Plattform die Jakobiner die Frauen demütigen. Nicht nur von den beiden Tenören werden große körperliche Leistungen abverlangt, sondern auch von allen anderen Solisten und Chormitgliedern, immerhin gilt es 157 Stufen auf der Bühne zu bewältigen und hinter der Bühne noch fast ebenso viele, um überhaupt auf die Bühne zu gelangen (ein Gefühl hierfür kann der Zuschauer während einer sehr empfehlenswerten Bühnenführung (Photos) erhalten). Besonderen Mut müssen auch die drei Sänger des André Chénier (alle Hauptpartien sind zwei- bis dreifach besetzt, als Titelheld ist u.a. wieder der aus der TV-Übertragung bekannte mexikanische Tenor Héctor Sandoval zu erleben). Auf seiner Flucht muss er vom Buch rund acht Meter tief in den Bodensee springen.

Nicht der Einzige, der baden geht. Allerdings sind die anderen Akteure Akrobaten und Stuntmänner wie - frauen, die im Spiegel durch die Lüfte fliegen oder auf dem Haupt Marats tanzen oder ins Wasser springen. Keith Warner und David Fielding haben die spektakulären Szenen geschickt in die mitreißende Handlung eingebettet und zugleich auf viele Details wert gelegt. So taucht das Messer aus dem Bodensee auf und  brennen während der zweistündigen Aufführung die Kerzen am Spiegel ab.

Auch sind die Flecken auf der Haut Marats keineswegs eine Alterserscheinung des Bühnenbilds sondern gewollt, denn Marat litt unter einer Hauterkrankung, wegen der er häufig Bäder in der Badewanne nahm. Prunkvoll und detailfreudig sind auch die faszinierenden Kostümen, Perücken und Hüte der Kostümbildnerin Constance Hoffman. Für die Choreographie zeichnet sich Lynne Page, für das die Akteure immer gut in Szene setzende Licht Davy Cunningham verantwortlich. 

 

Anders wie noch vor ein paar Jahren sitzt das Orchester, die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Ulf Schirmer bzw. Enrico Calesso, nicht mehr im Kern der auf 300 Holz- und Stahlpiloten ruhenden, festinstallierten Seebühne, auf der sich alle zwei Jahre das Bühnenbild ändert, sondern im Orchestergraben des Festspielhauses. Über Kameras sind Dirigent und Bühne miteinander im ständigen Sichtkontakt. 850 Lautsprecher im Publikumsraum übertragen den Sound auf die Zuschauertribünen. Ein extra für die Bregenzer Seebühne entwickeltes Soundsystem mit achtzig im Bühnenbild integrierten Lautsprechern (Akustik: Wolfgang Fritz) lässt die Stimme der Sänger immer an der Stelle auf der Bühne erklingen, an der sich der Sänger bzw. die Sängerin befindet. Von allen 7000 Zuschauerplätzen besteht eine gute Sicht auf das Geschehen.

 

Die 1896 in Mailand uraufgeführte Verismo-Oper Andrea Chénier gehört zwar nicht zu den bekanntesten ihres Genres, was aber angesichts ihrer packenden Dramaturgie (Libretto: Luigi Illica) und ihrer ergreifenden Melodien kaum verständlich ist. Ebenso wenig wie die Reaktion mancher Reiseveranstalter, die, wie die Bregenzer Operndirektorin Susanne Schmidt in einem Radiogespräch bekundete, nicht bereit waren, dreißig Sekunden zu opfern, um ihrer Klientel diese Oper zu erklären (die im übrigen seit vielen Jahren zum Repertoire der Wiener Staatsoper zählt) und sie deshalb nicht in ihrem Programm aufnahmen. Vom 19. Juli bis zum 18. August 2012 besitzt aber jeder Opernfreund und die, die es noch werden wollen, die Möglichkeit, sich von dieser Produktion faszinieren zu lassen. Viele nützliche Informationen finden sich auf www.bregenzerfestspiele.com. Besonders empfehlenswert sind die Videos (http://www.bregenzerfestspiele.com/de/video ) und dort besonders die Beiträge Die Entstehung von André Chénier und André Chénier Das Bühnenbild. Alle Videos sind auch auf www.youtube.com zu finden.

 Text: Birgit Popp, Photos: Bregenzer Festspiele und privat

 

 

Copyright for Text & Layout © 1998 - 2013 Birgit Popp
 

Alle Angaben ohne Gewähr. Für die Gültigkeit und Richtigkeit der auf dieser Website veröffentlichten Namen, Angaben, Termine und Daten wird keine Haftung übernommen, ebensowenig für den Inhalt von Websites, auf die Links verweisen. No responsibility is taken for the correctness of names, dates or other information published on this website as well as for the contents of websites links are pinting to.