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Vorschau Oper Frankfurt,  Premiere 1. Mai 2013

 Landschaft mit entfernten Verwandten


David Bennent (Schauspieler, 2.v.l.), Mitglieder des Ensemble Modern

Am 1. Mai 2013 hat Heiner Goebbels Oper Landschaft mit entfernten Verwandten mit ihrer Erstaufführung der 2010 erarbeiteten ‚Frankfurter Fassung’  Premiere im Bockenheimer Depot. Einen Tag zuvor, am 30. April, wird der Komponist im Rahmen eines Happy New Ears-Konzerts eine Einführung in sein Werk geben.

Die Oper wurde seit ihrer Uraufführung 2002 vom Komponisten und dem Ensemble Modern beständig weiterentwickelt. Dass es zu einer ‚Frankfurter Fassung’ gekommen ist, dürfte auch an der engen Bindung des in Neustadt a. d. Weinstraße geborenen Komponisten und Regisseurs an die Mainmetropole liegen, wo er Soziologie und Musik studierte und heute noch lebt. Der Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen zählt zu einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Komponisten der heutigen Zeit und zu einer der einflussreichsten Personen im Musiktheater nicht nur durch seine künstlerische und seine Lehrtätigkeit, sondern auch durch seine Funktion als Intendant der Ruhrtriennale und als Präsident der Hessischen Theaterakademie. Zu den zahlreichen Preisen und Ehrungen, die ihm bisher zuteil wurden, gehört seit 2012 der International Ibsen Award. „Normalerweise ist die Halbwertzeit der Freude über eine Auszeichnung relativ kurz, mal dauert sie eine Stunde, mal einen Tag oder eine Woche. Der Ibsen-Award ist jedoch nicht nur einer der wichtigsten Theaterpreise der Welt, sondern mir bedeutet auch sehr viel, dass damit ein Theater, das nicht aus sich selbst, sondern aus der Musik kommt, in Theaterkreisen mit dermaßen großem Interesse wahrgenommen wird. Ich glaube, dass das Theater dringend Impulse aus den anderen Künsten braucht. Heute ist es eher die Choreographie, in den Sechzigern war es die experimentelle Literatur. Das Theater muss auf Augenhöhe mit den anderen Künsten agieren und muss Fragen der Darstellbarkeit zeitgenössisch beantworten und kann sich nicht mehr auf die alten Stile berufen.“

 
Heiner Goebbels

Begonnen hatte Goebbels als Musiker in kleineren Besetzungen und als Komponist von Film- und Theatermusik – und von Hörstücken. „Meine Tätigkeit fürs Musiktheater hat sich aus Radiohörstücken entwickelt,“ so Goebbels rückblickend, „ich war damals mit dem Theater, so wie ich es als Komponist kennengelernt habe, nicht sehr zufrieden. Ich habe versucht, zunächst in den Hörstücken eine Balance zwischen den verschiedenen Mitteln möglich zu machen: zwischen Sprache und Geräuschen, zwischen Text und Klang; erst danach, als ich mir eine gewisse Ästhetik erarbeitet hatte, habe ich die ersten vorsichtigen Versuche gemacht, dies auch auf die Bühne zu bringen. Das war zunächst noch kein Musiktheater, sondern waren szenische Konzerte, also vom Konzert aus entwickelte Inszenierungen. Erst allmählich sind dazu Bildwelten gekommen, die aber immer ihre Unabhängigkeit gegenüber der Musik haben. Es ging nie darum, Musik zu illustrieren oder Geschichten zu kolorieren und auszustatten, sondern darum, dass das Gesehene und das Gehörte nicht unbedingt zusammenfallen, sondern das Visuelle die Musik kontrapunktiert, also eine Gegenstimme zur Musik bildet.“

 
Mitglieder des Ensemble Modern

Die Entstehungsgeschichte der Oper spiegelt sich im Titel Landschaft mit entfernten Verwandten wieder. „Ausgangspunkt war, bestimmte Motive aus der Bildenden Kunst auf die Bühne zu bringen. Gemälde Alter Meister wie von Velázquez oder Poussin, bei denen die Objekte im Hintergrund die gleiche Schärfe besitzen wie die Motive im Vordergrund. Ich habe bei den ersten Proben rund ein Jahr vor der Premiere noch mit Blindtexten gearbeitet. Mir war es wichtig, zuerst die Stimmen der Musiker in ihrer Muttersprache zu hören, dann habe ich erst in den jeweiligen Sprachen gesucht, welche Texte gibt es, die mit der Blickrichtung zu tun haben, um die es mir geht,“ so der Komponist. Großen Anteil bei der Erarbeitung dieses Stückes, wie bei mehreren anderen von Heiner Goebbels, besitzt das Ensemble Modern, das Landschaft mit entfernten Verwandten 2007 als CD herausbrachte und dessen Musiker zugleich Sänger und Darsteller sind. Hinzukommen in Frankfurt der Bariton Holger Falk und der Schauspieler David Bennent. Die musikalische Leitung obliegt Franck Ollu.

„Ich habe das Stück auch danach entwickelt, welche Musiker mir zur Verfügung stehen, die gleichzeitig eben auch zu Akteuren werden, die tanzen, sprechen, singen und spielen. Nicht der Krieg an sich steht im Mittelpunkt des Stücks, sondern die Frage, wie beschreibt man das Unbeschreibbare, welche Perspektiven sind da möglich. Die eigentliche Textauswahl erfolgte zwischen dem Sommer 2001 und der Premiere 2002. Das war die Zeit, in der viele Diskurse durch den 11. September angestoßen wurden - auch über die Darstellbarkeit von Gewalt. Texte, wie man sie auch schon bei Leonardo da Vinci findet in seiner Schilderung, wie ein Schlachtengemälde anzufertigen sei, oder die Aufzählung von Waffengattungen in einem Gedicht von T.S. Eliot.“

 
Mitglieder des Ensemble Modern

Heiner Goebbels sagt von sich selbst, dass er keine Mitteilungen an die Zuhörer und –schauer machen, sondern ihnen neue Erlebnisräume eröffnen möchte. Aber, bereits die Verfasser der Texte besaßen vermutlich ein gewisses Mitteilungsbedürfnis? „Aber nicht zwangsläufig über den Inhalt, wie besonders bei Gertrude Stein deutlich wird. Sie hatte ein stärkeres Interesse an der Form eines Textes als an dessen Inhalt. So auch bei ihrem Text über die zyklisch wiederkehrenden Kriege ‚Wars I have seen’, in dem sie die Erlebnisse des Ersten und Zweiten Weltkriegs verarbeitet. Sie lässt den Leser und Zuhörer dabei an ihren Erfahrungen und an ihrem Denken über Kriege teilhaben, aber was sie sagt, ist durchaus widersprüchlich. Sie macht keine eindeutigen Aussagen. Auch die Texte von T.S. Eliot und Henri Michaux sind poetische Konstruktionen, die mit viel mehr spielen als nur mit der Wortbedeutung, sondern auch mit dem Klang, mit dem Rhythmus, mit den Bildern.“ Wobei es durchaus auch konkrete Aussagen in Steins Texten gibt, so sagt sie von der Welt im Jahr 1943, dass sie die mentale Entwicklung eines siebenjährigen Jungens hätte.

Typisch für die Werke Heiner Goebbels sind die vielsprachigen Texte. Im Falle von Landschaft sind es Texte, Erzählungen, Abhandlungen und Gedichte von Gertrude Stein, Giordano Bruno, Henri Michaux, T. S. Eliot, François Fénelon, Leonardo da Vinci, Michel Foucault und Nicolas Poussin in Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch, wobei Leonardo da Vincis ‚Schlachtenbeschreibung’ - eine Stelle des Stücks, die besonders unter die Haut geht – ins Deutsche übersetzt wurde. Dass durch die Sprachvielfalt nicht immer alle Details verstanden werden, stört Goebbels nicht, im Gegenteil, es ist Teil des Stückes, „Das semantische Verständnis eines Textes hat für mich nicht immer oberste Priorität, sondern eher die Chance, sich auch einmal seinem Klang zu überantworten und zu schauen, „Was macht der Klang der Worte eigentlich mit mir an dieser Stelle?“

Für die nun erstmals zur Aufführung gelangende Frankfurter Fassung hat sich, so der Komponist und zugleich Regisseur der Produktion, sehr viel geändert, „Es ist ein Stück geworden, bei dem nun gänzlich auf den Orchestergraben verzichtet wird. Die Orchestermusiker stehen oder sitzen auf der Bühne oder der Seitenbühne. Das Stück ist kürzer und leichter für den Zuhörer geworden, aber auch, was die Reisefähigkeit angeht. Die Zuschauer sehen den Musikern nun bei der Verwandlung zu. Das Werk, das ja eigentlich nur aus ständigen Bild- und Kostümwechseln besteht, ist dadurch auch transparenter geworden, der Zuschauer hat Anteil am Vorgang des Theatermachens.“ Die Szenografie von Klaus Grünberg und die Kostüme von Florence von Gerkan sind beibehalten worden und die Tiefenschärfe - aber, was bedeutet das in diesem Zusammenhang? „Wir wollen die große räumliche Entfernung zum Publikum beibehalten, denn panoramatische Bilder sind besser aus einer gewissen Distanz zu überblicken. Wenn man in einem Bild drin sitzt, sieht man es nicht mehr mit genügend Abstand. Das ist ein Themenkomplex, der mich sehr interessiert, denn für viele Fragen, die ich habe, ist die  Entfernung besser. ‚In der Nähe, in der wir uns auskennen, finden die Entscheidungen nicht statt’, wie Alexander Kluge es einmal ausdrückte. Die Entfernung kann auch in einem Text liegen, in der Nüchternheit der Darstellung wie bei da Vincis Beschreibung, wie man ein Schlachtengemälde anfertigen sollte.“

Text: Birgit Popp, Photos  ©  Oper Frankfurt - Monika Rittershaus

Der Artikel wurde in Auszügen in der Frankfurter Neue Presse ( www.fnp.de ) veröffentlicht.

Weitere Informationen, Termine, Photos und Video: www.oper-frankfurt.de

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