Ramon Vargas und Ana Maria Martinez
Photo: Axel Zeininger
Weniger Lob kann den Wiener Philharmonikern unter dem Dirigat von Juan Märkl für die
beiden La Boheme -
Vorstellungen am 25. und 27. November 1999 gezollt werden. Da kamen Einsätze unpräzise,
spielten einzelne Instrumente zu laut auf und es war den Sängern zu verdanken, daß diese
beiden Abende dennoch als gelungen bezeichnet werden können, ja vor allem der Abend am
25. zu einem Sängerfest wurde. Ihren großen Anteil besitzt daran auch die Inszenierung.
Mit für Franco Zeffirelli typischer Detailfreude gleicht das Bühnenbild einem Gemälde.
Die von der Mailänder Scala übernommene und in Wien erstmals 1963 aufgeführte
Zeffirelli-Produktion versetzt den Zuschauer in das bohemische Leben im Paris von 1830. Da
kommt die Frage in den Sinn, was soll das ganze Gerede, die Oper sei kein Museum, sie
müsse leben und brauche aktualisierte, moderne Inszenierungen zum Überleben ? Die
nicht-zeitgenössischen Opernwerke sind Museumsstücke und gerade deshalb leben sie ! Ein
ausverkauftes Haus wie an diesem Abend spricht für sich. Wenn man in den Tower geht, um
sich die Kronjuwelen anzusehen, dann möchte man die Kronjuwelen sehen und keine Imitate.
Zugegeben, würde sich diese Auffassung durchsetzen, dann wären viele Regisseure
arbeitslos. Viele Opernbesucher möchten sich in anderen Welten entführen lassen,
möchten träumen und kein Spiegelbild des aktuellen Tagesgeschehens erleben, dazu
brauchen sie nur den Fernsehen einzuschalten oder die Tageszeitung aufzuschlagen. Es
bleibt nur zu hoffen, daß diese Inszenierungsjuwelen wie von Zeffirelli oder Ponnelle im
Repertoire der Wiener Staatsoper auch weiterhin erhalten bleiben. Woher sollen gerade auch
die jungen Opernbesucher wissen, wie die Originale der Opern waren, wenn sie sie nie
erleben durften ?
Ramon Vargas als Edgardo Photo: A. Zeninger
Eine sich bestens ergänzendes Tenor-Bariton-Paar sind der mexikanische Tenor Ramon
Vargas und der spanische Bariton Manuel Lanza. Mit gefühlvollen, warmen Stimmen setzten
beide Sänger in den Rollen des Poeten Rodolfo und des Malers Marcello Puccinis Melodrama
berühend-anrührend mit zuckersüßem Schmelz um. Schon Anfang des Monats hatten sie in
Donizettis Lucia di Lammermoor Seite an Seite gestanden. Ramon Vargas zählt zu den
beeindruckensten, lyrischen Tenören der jungen Generation, mit klarem und doch samtigem
Timbre, sicheren Höhen und Übergängen zwischen den Lagen und kunstfertiger,
natürlicher Phrasierung. Manuel Lanzas wohltemperierter, warmer Bariton wird immer
voluninöser und ausdrucksvoller und entwickelt immer stärker dramatische Qualitäten.
Der Marcello in der Boheme zählt ohne Frage zu seinen Glanzpartien. Wie Ramon Vargas den
Rodolfo glaubhaft verkörperte, war eines der Highlights dieses Opernmonats in Wien. Die
Vorstellung am 27. November mußte Vargas wegen Indisponiertheit allerdings absagen. Das
für ihn einspringende Wiener Ensemblemitglied Keith Ikaia-Purdy meisterte die Partie
ebenfalls mit viel tenoralem Geschick. Doch nicht nur die beiden männlichen Protagonisten
gaben den beiden Vorstellungen zahlreiche Höhepunkte, sondern ebenso die beiden
weiblichen mit Ana Maria Martinez als leidende und liebende Mimi und Maria Constanza
Nocentini als kecke Musetta, für die es am 25. November zudem ihr Debüt an der Wiener
Staatsoper war. Die Puertorikanerin Ana Maria Martinez hatte sich bereits im Februar 1998
als Adina erstmals dem Publikum der Wiener Staatsoper vorgestellt. Zu den erfolgreichsten
Partien der Operalia-Preisträgerin, die ihren lyrischen Sopran weich , melodiös und
geschmeidig-gefühlvoll führt und auch darstellerisch vollends in ihrer Rolle aufgeht,
zählen neben der Mimi und der Adina die Pamina in Mozarts Zauberflöte und die
Mélisande.
Wie der Monat mit Neil Shicoff mit einem der absoluten Wiener Publikumslieblingen
begonnen hatte, so endete er auch: Plácido Domingo, der im Mai 1999 bereits für
Sternstunden an der Wiener Staatsoper in der Rolle des Hermann in Pique Dame gesorgt
hatte, kehrte als Loris in Fedora zurück.
Mit welchem Stimmvolumen und mit welcher stimmlichen und darstellerischen Präsenz
Plácido Domingo noch immer aufwarten kann, ist faszinierend. Ein fast halbstündiges
Applaus- und Bravo-Konzert nach den Vorstellungen am 26. und 29. November waren der Lohn
für Auftritte, bei denen Domingo mit Leib und Seele in seiner Rolle aufging. Eine sehr
gut disponierte Partnerin gesellte sich mit Eliane Coelho an seiner Seite, zu deren besten
Partien Fedora zählt. In der Rolle der rachsüchtigen Fürstin, die ihr Liebesglück mit
ihren Intrigen gegen den vermeintlichen Mörder ihres ehebrecherischen Gatten in spe
zerstört und am Ende nur den Ausweg im Selbstmord sieht, kann sie ihr ganzes
schauspielerisches und verführerisches Talent entfalten. Ihre nuancenreiche
Gesangstechnik trägt entscheidend dazu bei, die Vielschichtigkeit der Titelheldin
plastisch werden zu lassen.
Placido Domingo und Eliane Coelho
Photo: Axel Zeininger
Was Domingo betraf, so brachte er seinen Tenor am zweiten Abend noch mehr zum Strahlen
und sorgte für ein weiteres Highlight des Opernjahres 1999 ! Wie Domingo die Vorgänge um
den Tod von Fedoras Gatten in spe schilderte, war spannend, wie er von seiner Mutter
erzählte, herzzerreißend. Ebenfalls bestens besetzt in der realistisch-opulenten
Inszenierung von Jonathan Miller: Georg Tichy als ironisch-galanter Diplomat De Siriex und
Tatiana Lisnic als kokette Komtess Olga. Giordanos Opernkrimi wurde am Pult von Marco
Armiliato mit Schwung und viel Gefühl für Dramatik und Melodie umgesetzt.