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Interview Wilfried Hiller - Peter Pan

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Die Macht der Musik

Wilfried Hiller im Gespräch mit Isolde Schmid-Reiter

Schmid-Reiter: Ihrem Musiktheater für Kinder wird stets attestiert, daß es die jungen Hörer und Zuschauer als selbstbewußte und intelligente Partner ernstnimmt, ohne sich ihnen anzubiedern. Wie schwer ist es, einfach zu schreiben, ohne daß es banal wirkt?

Hiller: Das ist sehr schwer. Ganz am Anfang dachte ich, ich würde das nie schaffen. Ich hatte ein Angebot, die Musik für einen Film über den Maler Tomi Ungerer zu schreiben. Und zwar zu seinem Liederbuch. Ich erbat mir von Percy Adlon, dem Regisseur, Bedenkzeit, sagte aber dann nach reiflicher Überlegung zu, diese Volks- und Kinderlieder zu instrumentieren. Das war der erste Schritt. Und als ich dann anfing, für meinen Sohn Stücke zu schreiben, riet mir mein Verlags-Lektor, mir dafür ein Pseudonym zuzulegen. Sonst würde ich in der Musikszene nicht mehr ernstgenommen, man würde mich nicht mehr in Opernhäusern und bei Symphoniekonzerten spielen, und für Festivals Neuer Musik sei ich dann sowieso tabu. Ich war damals richtig schockiert und dachte, daß dies im Grunde nur damit zusammenhängen kann, weil es unglaublich viele Stücke für Kinder gibt, die Schrott sind.

Ich versuche nicht, zu den Kindern "hinunterzusteigen", sondern sie "heraufzuholen", sie zu fordern, ihnen etwas vorzusetzen, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen. Wenn sie nicht gleich begreifen, sollten sie jemanden fragen können. Darum sollten Kinder nur mit Erwachsenen gemeinsam die Vorstellungen besuchen. Wichtig ist, daß man die Kinder nicht ratlos zurück läßt. Das ist ja das Problem des Fernsehens. Die Kinder sitzen zwei Stunden davor und der Erwachsene hat seine Ruhe. Ich möchte, daß bei meinen Stücken eine Auseinandersetzung stattfindet. Kinder werden leider immer noch viel zu selten "für voll" genommen. Ich glaube nicht, daß ich anders komponiere, wenn ich für Kinder schreibe. Es sind bloß andere Themen. Ob ich den Schimmelreiter schreibe, der durch den Totentanz natürlich mehr Dramatik hat, oder ob ich einen Peter Pan komponiere: Ich habe dabei meine Musiksprache und nichts anderes.

Schmid-Reiter: Was hat Sie überhaupt zur Vertonung des Peter Pan bewogen ?

Hiller: Die Idee liegt schon sehr lange zurück. Schon Anfang der Achtziger Jahre habe ich Michael Ende - vergebens - gefragt, ob er nicht Lust hätte, mit mir gemeinsam Peter Pan zu machen. Heute ist mir ganz klar, daß ihm die Geschichte viel zu nahe war. Michael Ende war identisch mit der Figur des Peter Pan. Er ist bis zu seinem Tod der Junge geblieben, der nicht erwachsen werden wollte, der seine Kinderbücher für sich selbst schrieb.

Im Auftrag von Staatsintendant August Everding sollten wir für die Eröffnung des Prinzregententheaters 1997 eine Kinderoper schreiben. Wir wählten eine Geschichte nach Friedrich de la Motte-Fouqué und Robert Louis Stevenson, die sich ums Geld dreht und darum, wie man immer reicher und reicher wird, ohne zu arbeiten und Steuern zu zahlen. Michael Ende rief mich im Mai 1995 an, als wir bereits mitten in der Arbeit waren, und sagte mir, er habe eben vom Arzt erfahren, daß er höchstens noch drei Monate zu leben hat; angesichts des Todes könne er keine Komödie mehr schreiben. Und so mußte ich Everding damals absagen. Eines Tages rief mich Regine Koch von der Abteilung Theater und Schule im Prinzregententheater an und sagte mir, daß ich noch eine Oper "gut hätte". Und da fiel mir ein, daß ich zwanzig Jahre zuvor den Peter Pan gelesen hatte. Everding inszenierte damals den Ring des Nibelungen in Chicago. Als man ihm faxte, daß ich den Peter Pan in der Übersetzung von Erich Kästner komponieren will, schrieb er zurück: "Ich weiß auch schon, wer das inszeniert."

Wenn ich das Stück in der Originalvorlage komponiert hätte, hätte die Oper sieben Stunden gedauert. Ich mußte ganz bestimmte Dinge herausfiltern. Bei Barrie und auch bei Kästner sind die Regieanweisungen besonders wichtig. So habe ich beschlossen, die wichtigsten Regieanweisungen jemandem, der auf der Bühne gerade nichts zu tun hat, in den Mund zu legen. Beispielsweise sagt einer der Buben plötzlich: "Die Spannung ist kaum erträglich".

Schmid-Reiter: Sie nennen Ihr Werk eine "Musikalische Abenteuerreise". Was verbirgt sich dahinter?

Hiller: August Everding wollte immer einen Untertitel. Oper wollte ich es nicht nennen, ein Musical ist es nicht. Mein Dirigent meinte, daß ich es einfach "Musikalische Abenteuerreise" nennen soll. Denn Wendy, John und Michael fliegen ja von zu Hause in dieses Land Nirgendwo. Und dort erleben sie Abenteuer. Danach kommen sie gereift wieder in ihr Kinderzimmer zurück.

Schmid-Reiter: Peter Pan ist eine Geschichte, die das Ernste und Gefährliche nicht ausschließt, eine Geschichte mit mordlustigen Piraten, menschenfressenden Krokodilen und einer Titelfigur, die selbst reihenweise Seeräuber ins Jenseits befördert - eine Geschichte ohne pädagogisch-moralischen Anspruch, in der ohne Konsequenzen der Phantasie freier Raum gelassen wird. Ist es eine naive Geschichte?

Hiller: Ganz und gar nicht. Es ist ein bißchen Autobiographie von Barrie, der nach dem Tode seines Bruders nicht mehr weiterwuchs. Und der versucht hat, dies in einer derartigen Geschichte umzusetzen. Für mich ist es eine Geschichte des Erwachsenwerdens. Kästner schreibt: "Am Schluß sehen alle ein bißchen anders aus".

Die Kinder haben sich in ihren Träumen die Erwachsenen so vorgestellt, wie sie sie gerne hätten. Der Vater, der immer auf dem Büroschemel sitzt, ist plötzlich der große Seeräuber-Kapitän, die Mutter wird zu Tigerlilly. Diese Geschichte zeigt ganz andere Zusammenhänge. Ich glaube, daß vieles den Kindern Spaß macht: die Wildheit, die Indianer, die bösen Seeräuber oder der Wettkampf. Und die Erwachsenen werden sich wieder andere Dinge herausnehmen. Denn ich bin der festen Meinung, daß Musiktheater für Kinder nicht gut ist, wenn es nur für Kinder ist. Es muß tatsächlich auch für Erwachsene sein, die sich eine gewisse Jugendlichkeit hinübergerettet haben.

Schmid-Reiter: Erich Kästner, dessen Übersetzung Sie für Ihr Libretto adoptiert haben, schrieb am liebsten für Kinder von 9-90 und darüber. Welche Altersgruppe wollen Sie mit Peter Pan ansprechen ?

Hiller: Ich könnte mir vorstellen: ab acht Jahre. Nach oben hin gibt es aber keine Grenzen. Generell ist es nicht sinnvoll, in Altersgruppen einzuteilen. Manche Werke, die Kinder und Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren ablehnen, sehen sie mit 20 Jahren wieder anders. Man erinnert sich wieder an seine Kindheit.

Schmid-Reiter: Identifikationsfigur - und das ist meiner Meinung nach auch musikalisch durch die Große Arie 'Wie war die Welt noch imposant, als ich ein kleiner Junge war' unterstrichen - ist für Sie Kapitän Haken, nicht Peter Pan, der kalt, lieblos, vergeßlich ist.

Hiller: Das war für mich sehr wichtig. Bei Barrie und Kästner gib es keine Szene, in der er so herauskommt, wie ich ihn mir vorstelle. Er hat eine harte Schale mit einem weichen, guten Herz. Und als er einmal ganz alleine ist, bricht es einfach aus ihm heraus. Diese Arie darf auf keinen Fall gestrichen werden, damit wäre das Ganze ad absurdum geführt.

Haken ist für mich eine ganz wichtige Figur. Er ist eigentlich gar nicht der Böse, sondern er gibt sich einfach so. Er möchte im Grunde so sein wie Peter Pan. Er sagt: "Man erzählt, daß sie überall Peter Pan spielen, und der Stärkste will jedesmal Peter sein. Und stets zwingen sie den Kleinsten und Schwächsten dazu, Haken zu spielen. Das nagt an meinem Herzen."

Skurrilität, Surrealismus spielen eine bedeutende Rolle: Das Krokodil, das eine Uhr verschluckt hat, durch deren Ticken Haken merkt, daß es sich nähert: Das könnte ein Bild von Dali sein.

Schmid-Reiter: Die Peter Pan-Aufführungsgeschichte zeigt, daß die Hauptfigur fast immer von einer Frau gespielt wurde. Sie setzen diese Tradition fort. Was hat Sie dazu bewogen, die Titelrolle einem Mezzo zuzuschreiben ?

Hiller: Peter Pan ist ein androgyner Typ und muß deshalb von einer Frau gespielt werden. Er darf nie, wie es anfangs geplant war, von einem Jungen dargestellt werden.

Schmid-Reiter: James Matthew Barrie schrieb 1920 ein Peter-Pan-Stummfilm-Szenario und wünschte sich für die Titelrolle Charlie Chaplin. Wenn man sich Ihre Peter Pan-Vertonung ansieht, hat man mitunter den Eindruck, daß sie vom Medium Film inspiriert ist.

Hiller: Ganz stark. Als ich jung war, war ja der Film sehr wichtig. Ich wuchs damals in einem Kloster auf. Wir durften nicht in Filme gehen, höchstens einmal, wenn ein neuer Papst gewählt wurde oder Königin Elisabeth auf den Thron kam. Später hatte ich großen Nachholbedarf, und ich lernte vom Film, vom Filmschnitt, von der Verbindung von Filmmusik und Szene unglaublich viel.

Am eindrucksvollsten waren für mich die Filme von Charlie Chaplin. Ich schaue sie mir immer und immer wieder an, auch mit meinen Kompositionsstudenten, zeige ihnen eine Filmszene und frage, wie sie diese komponieren würden. Und danach spiele ich ihnen vor, wie sie Charlie Chaplin komponiert hat: Wie zum Beispiel ein Kontrabaß im Pizzicato abwärtsgeht, wenn jemand die Treppe hinuntersteigt; wie er tragische Szenen durch die Musik bricht. Er war damals seiner Zeit voraus. Die alten Slapstick-Elemente wie der Schlag auf den Kopf, kommentiert von der großen Trommel, stammen natürlich alle aus dem Zirkus. Und Zirkus war mir genauso lieb wie Oper oder Operette. Und Charlie Chaplin mit seinen Filmen und seiner Filmmusik genauso wichtig wie beispielsweise die späten Opern von Mozart.

Schmid-Reiter: Eine besondere musikalische Stellung nimmt die Fee Klingklang ein. Was hat Sie hier beeinflußt?

Hiller: Ganz wesentlich war, daß nicht nur das, was wir in der Realität erleben, existiert, sondern daß es darüberhinaus auch eine andere Wirklichkeit gibt. Anfang und Schluß des Werkes sind diese realen, etwas spießigen Welten. Und in der Mitte kommt dann diese Phantasie, diese Traumwelt. Zwischen diesen beiden Ebenen gibt es ein Bindeglied: die Fee Klingklang, eine Figur, die zwischen Himmel und Erde schwebt, nicht mehr als ein Lichtpünktchen. Ich hatte hier ein musikalisches Vorbild, das kein Kritiker bemerkt hat, und zwar Olivier Messiaen, der sich fünfzig Jahre seines Lebens intensiv als Vogelkundler beschäftigt und überall, wo er war, die Vogelstimmen aufgezeichnet hat. Für ihn waren die Vögel immer eine Verbindung von Himmel und Erde. Ich habe versucht, diese Elemente in meine Sprache zu übersetzen. Klingklang ist im Grunde ein Vogel, der zwischen Himmel und Erde, zwischen Realität und Traumwelt schwebt.

Schmid-Reiter: Sie haben festgestellt, daß das Folkloristische bei der Peter Pan-Vertonung eine große Rolle spielt. Welche dramaturgische Funktion kommt ihm zu?

Hiller: Mir kommt es immer darauf an, daß man, wenn ein Stück in einem ganz bestimmten Landstrich spielt, dies ziemlich schnell hört. Das hängt sicher auch damit zusammen, daß ich im Bayrischen Rundfunk für die Musik anderer Kulturen zuständig bin. Der Pinocchio zum Beispiel spielt in Florenz, und ich werde hier ganz bestimmte Melodien aus dieser Gegend verwenden. Bei Peter Pan habe ich versucht, englische und schottische Volkslieder zu bringen, sie in meine Musiksprache zu kleiden. Sie geben sozusagen den akustischen Rahmen für die Szene. Das Kuriose war: Ich habe mir ursprünglich die Melodien nach ihrer melodischen und harmonischen Qualität ausgesucht. Dann sah ich, daß es allesamt Lieder von Flötenbläsern sind. Und das fand ich natürlich sehr schön, weil Peter Pan immer, wenn er alleine ist, auf seiner Panflöte spielt. Peter Pan besiegt Haken in der Oper nicht mit dem Schwert, sondern mit seiner Musik. Er hat plötzlich keine Lust mehr, mit diesem Kerl zu kämpfen. Er setzt sich hin und spielt. Da dreht Haken durch und springt schließlich dem Krokodil in den Rachen, sozusagen durch die Macht der Musik. Das ist etwas, das durch alle meine Stücke geistert: Daß man mit Musik mehr Macht ausüben kann als mit Krieg und Gewalt.

Schmid-Reiter: Nach der Peter Pan-Uraufführung schrieb der Rezensent der Neuen Musikzeitung: "Kaum ein zweiter Komponist macht sich heute so verdient um das Genre der Kinderoper wie der Orff-Schüler Wilfried Hiller". Freut Sie diese Feststellung - angesichts der eingangs erwähnten Vorbehalte von außen?

Hiller: Ja, das freut mich schon, auch wenn dann einige Kollegen nicht mehr mit mir reden. Damit muß man sich einfach abfinden.

Schmid-Reiter: Gibt es Kinderopern-Pläne von Wilfried Hiller für die nächste Zukunft?

Hiller: Einen ganz aktuellen: Pinocchio, der zusammen mit Rudolf Herfurtner entsteht.

Das Interview erschien im Programmheft zu Peter Pan. Die Veröffentlichung in Opera Notes erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Wiener Staatsoper.

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