In Donizettis Roberto
Devereux, der im Dezember 2000 Premiere hatte, stand nun endlich das
ursprünglich geplante Premieren-Quartett bei guter Gesundheit auf der Bühne.
Dominierende Persönlichkeit ohne Zweifel Edita Gruberova, deren Gesangskunst nicht nur
fasziniert, sondern auch ihr Mut zur Häßlichkeit. Mit größter Leichtigkeit und
gestochen scharf perlen ihre Höhen, herausragend ihre Phrasierung, ihr Crescendo und
Decrescendo, ihre Piani und ihr Forte. Mit dem spanischen Bariton Carlos Alvarez, der vor
der Premiere erkrankt war, als Herzog von Nottingham und dem mexikanischen Tenor Ramón
Vargas in der Titelpartie hatte sie zwei männliche Protagonisten an ihrer Seite, die zwar
vom Komponisten in ihren Partien weniger umfangreich ausgestattet waren, ihren Part aber
hervorragend bedienten. Carlos Alvarez sang mit imposanter, in weite Tiefen reichender,
wohltönender, höhensicherer und weich strömender Stimme und nimmt schon allein durch
seine Bühnenpräsenz gefangen, selbst dann, wenn ihm seitens der Regie nur wenig Raum zur
darstellerischen Gestaltung geboten wird. Ramón Vargas besticht mit seinem
wohlphrasierten, glänzenden, lyrischen Tenor, der sich geschmeidig durch alle Register
bewegt und sich in der Stretta zum mitreißendem Volumen entwickelt.
Die Herzogin von Nottingham, mit der Roberto Devereux laut Opernlibretto
eine unerfüllt gebliebene Liebe verband, wurde von der Albanierin Enkelejda Shkosa
vollmundig in der Stimme und anmutig in der Darstellung gegeben, ihre Höhen neigen jedoch
zu einem recht starken, störenden Vibrato. Marcello Viotti führte die Wiener
Philharmoniker, Chor und Ensemble wie schon in der Premierenserie mit viel Gefühl und
Präzision durch das Werk. (Premierenbericht)
Im Mittelpunkt des Zuschauerinteresses stand auch in der Linda di Chamounix Edita Gruberova und stellte damit
auch ihre Wandlungsfähigkeit als Bühnengestalt unter Beweis. Während sie am Ende von
Roberto Devereux zumindest in diesem Stück (in der Wirklichkeit regierte sie auch nach
der Hinrichtung von Devereux noch einige Zeit weiter) verbittert abdankte und dies in
Gesang und Gestaltung mit zu Herzen gehender Szene auf der Bühne erlitt, gelang ihr nun
die Darstellung eines jungen, wenn auch recht selbstsicheren Mädchens - warum eine so
selbstsicher auftretende junge Dame allerdings so schnell dem Wahnsinn verfällt, vom dem
sie - oh, seltenes Happy-End in der Oper - allerdings wieder geheilt wird, bleibt das
Geheimnis des Komponisten und seines Librettisten Gaetano Rossi.
Bei ihrer Uraufführung 1842 unter der Stabführung des Komponisten hatte
Donizettis Oper, die er eigens für Wien geschrieben hatte, einen berauschenden Erfolg
gefeiert und den Komponisten, damals Wiener Kapellmeister und Hofkomponist, gänzlich für
Wien eingenommen. Warum die Oper heute sich geringerer Beliebtheit erfreut und vor allem
nur wegen 'La Gruberova' auf den Spielplan genommen wird, mögen die Kritiker des Werkes
beantworten. Beeindruckend war im Mai die gleichmäßig hohe Qualität aller vier
Aufführungen (17., 21., 26. und 29. Mai 2001). Neben der Gruberova ist besonders der
britische Bariton Anthony Michaels-Moore in der Rolle von Lindas Vater Antonio
hervorzuheben. Nobel in Gestalt und Gesang gibt er diese Partie mit - wie heute nur selten
zu erlebender - äußerst kultivierter Stimme, ebenmäßigen, wohltimbrierten Tönen,
guten Übergängen zwischen den Registern und langgeschwungenen Legato-Bögen. Ebenfalls
zu den großen Positiva dieser Linda-Vorstellungen zählt die Mezzo-Sopranistin Svetlana
Sedar, die als Pierotto mit viel Wärme und Gefühl in Stimme und Darstellung zu
beeindrucken weiß. Hervorragend auch in drei der vier Vorstellungen Egils Silins, der in
Hochform mit wohlströmendem, voluminösem Baß sang, was in der Vergangenheit nicht immer
der Fall war. Besonders schön gelungen war das Duett zwischen ihm und Anthony
Michaels-Moore. Alberto Rinaldi, der im Mai auch in der Titelpartie von Gianni Schicchi an
der Wiener Staatsoper zu erleben war, ist köstlich in der Rolle des Wüstlings Marchese
di Boisfleury. In der Rolle seines Neffens Carlo, Visconte de Sirval, der Linda liebt, sie
aber wegen seiner Mutter nicht heiraten darf, bis diese ihre Meinung ändert (womit sich
auch wieder der Wahnsinnszustand von Linda aufhebt), gab am 17. Mai der in China geborene,
amerikanische Tenor Jianyi Zhang sein Staatsopern-Debüt. Er bewältigte seine Aufgabe
ordentlich, wenn auch in den ersten Vorstellungen noch etwas steif, aber ohne einen
wirklich bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Erstklassige Besetzungen und großartige musikalische Momente gab es aber
auch in den beiden Strauss-Opern Salome
(11. und 16. Mai) und Die Frau ohne Schatten
(24. und 27. Mai 2001). Die Salome ist eine Glanzpartie für das Wiener Ensemblemitglied
Eliane Coelho, die sie voller Sinnlichkeit mit expressiver Darstellung und ganz in der
emotional geladenen Strauss'schen Musik aufgehend gibt. Ein darstellerisches Naturtalent
ist auch der Walliser Bryn Terfel, dessen prophetische Mission sich in jeder Phase seiner
Darstellung und seines melodiösen, voluminösen und facettenreichen Baritonklanges
widerspiegelt. Seine visionären Ausblicke lassen den Zuhörer erschaudern.
Spannungsgeladen der Moment, wenn er aus der Tiefe seines Kerkers steigt. Eliane Celho und
Bryn Terfel, als Prophet Jochanaan das Objekt von Salomes Begierde, wußten zu
faszinieren, ebenso das die reichen Klangfarben und Melodienbögen von Strauss'
Komposition auslotende Orchester unter der Leitung von Peter Schneider. Wer bisher noch
kein Strauss-Anhänger war, der konnte bei diesen Vorstellungen durchaus auf den Geschmack
kommen. Auch szenisch war die Inszenierung von Boleslaw Barlog und dem Bühnenbild und
Kostümen von Jürgen Rose eine ansprechende Vorstellung, was man von Die Frau ohne
Schatten (Inszenierung: Robert Carsen, Bühnenbild u. Kostüme: Michael Levine) nicht
behaupten kann. Mit Darstellern im Ärztekittel (Amme und Geisterbote), einem Wohnzimmer,
das aussah als hätte eine Bombe eingeschlagen oder ein Erdbeben gewütet, einem
splitternackten Jüngling, dem Benedikt Kobel nur seine Stimme lieh, war diesem Stück
alles Märchen- und Parabelhaftes genommen. Jetzt-Zeit um jeden Preis !
Die Sänger taten ihr Möglichstes, über das inszenatorische Manko
hinwegzutrösten, leider gingen sie aber manchmal im grandios aufspielenden Orchester
unter. Vor allem Johan Botha war in der zweiten Vorstellung öfters im Zuschauerraum kaum
hörbar, da hätte Simone Young die Lautstärke etwas zurücknehmen müssen, damit neben
dem orchestralen auch ein gesanglicher Höchstgenuß zu hören gewesen wäre. Eine
stimmlich gute Kaiserin mit herrlichen Höhen gab Susan Anthony. Als Amme war Jane
Henschel ein fulminanter Alt mit großer Durchsetzungskraft in Person und Stimme.
Großartig Wolfgang Brendel in der Rolle des Färbers Barak, in der er den erkrankten Falk
Struckmann an beiden Abenden mehr als würdig ersetzte. Besser hätte man diese Rolle kaum
geben können. So weich und doch so sonor und in allen Registern von Basstiefen bis in die
höchsten Baritonhöhen gleichermaßen rund und sicher klang seine Stimme. Sein Spiel war
zugleich so berührend, daß man mit diesem rechtschaffenen, wackeren Mann Mitleid
empfinden konnte. Seine Frau gab Deborah Polaski ebenfalls mit sehr schöner Stimme, die
ihre Stärke vor allem in der Mittellage besitzt.
Eine besondere Ehrung widerfuhr am Ende der Vorstellung den beiden
Orchestermitgliedern Rainer Küchl und Werner Resel, die auf der Bühne vor dem Publikum
nun offiziell von Staatsekretär Franz Morak zu Ehrenmitgliedern
der Wiener Staatsoper ernannt wurden. Die Auszeichnung von Konzertmeister
Küchl (Violine), der bereits seit 30 Jahren in dieser Funktion an der Wiener Staatsoper
tätig ist, und des bereits seit 57 Jahren mit der Staatsoper verbundenen Werner Resel
(Violincello), dem Doyen des Hauses, darf als Ehrung des gesamten Orchesters gewertet
werden, das Staatsopern-Direktor Ioan Holender in seiner Laudatio als hehreren Pfeiler und
Konstante für die Qualität der Wiener Staatsoper bezeichnete.
Begonnen hatte der Mai ebenfalls mit einem absoluten Highlight aus dem
deutschen Repertoire, mit Wagners Tristan und Isolde. Der Aufführung am 1. Mai folgte
eine weitere grandiose Reprise am 5. Mai. Mit Matti Salminen als König Marke, Gösta
Winbergh als Tristan, Waltraud Meier als Isolde, Mihoko Fujimura als Brangäne und Peter
Weber als Tristans getreuer Gefolgsmann Kurwenal stand ein Spitzenquintett auf der Bühne,
das sich in absoluter Hochform befand und das die Oper in solch ergreifender Form in den
Zuschauerraum brachte, wie dies nur selten der Fall sein dürfte. Großen Anteil hatten
daran auch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Semyon Bychkov. Ein Wagnerscher
Hochgenuß.
Zum Monatsabschluß kamen die Fans von Carlos Alvarez noch einmal
unverhofft auf ihre Kosten, als dieser am 28. Mai für Dwayne Croft in der Titelpartie des
Barbiere di Siviglia
einsprang. Alvarez weilte gerade für die Proben von Le nozze di Figaro, der 'Fortsetzung
des Barbiers', in Wien, die als letzte Festwochen-Produktion dieses Jahres am 18. Juni im
Theater an der Wien unter der Stabführung von Ricardo Muti Premiere haben wird. Köstlich
sein Spiel als gewiefter Barbier, fulminant seine Stimme. Großartig auch Alfred Sramek
als Bartolo und Waltraud Winsauer als Magd Berta. Stefania Bonfadelli gab eine tadellose
Rosina, ob man allerdings eine Sopranistin gegenüber einem Mezzo in dieser Rolle
bevorzugt, dürfte Geschmackssache sein. Walter Fink gab einen sonoren Don Basilio. Der
Applaus des ausverkauften Hauses war den Protagonisten gewiß, allen voran dem agilen
Carlos Alvarez.
Birgit Popp