Teatro Real, Madrid, Premiere 1. Oktober 2001
Bericht - Kommentar - Besetzung
Rigoletto
Carlos Alvarez als Rigoletto - Photo: Teatro Real
Die Nacht des Carlos Alvarez
Zur Eröffnung der Saison 2001/2002 gab Carlos Alvarez sein umjubeltes Debüt als
Rigoletto, Verdis tragischer Narren- und Vaterfigur. Der in Malaga geborene, junge,
spanische Bariton verkörperte die schwierige Partie als Sänger und Darsteller mit
unglaublicher Intensität, mit sensibler und doch eindringlicher und kraftvoller, schöner
Baritonstimme.
An seiner Seite glänzte, wenn dies auch nicht von allen Anwesenden im
Premierenpublikum so gesehen wurde, die spanische Sopranistin Isabel Rey als sich für den
Herzog aufopfernde Gilda. Giuseppe Sabbatini als Herzog von Mantua gab eine solide
tenorale Leistung, von der man sich in der Premierennacht zu Beginn der Vorstellung jedoch
noch etwas mehr stimmlichen Glanz gewünscht hätte. Askar Abdrazakov brachte seinen
Sparafucile mit teuflischer Schwärze hinüber und Enkelejda Shkosa verkörperte eine um
das Leben des Herzogs besorgte Maddalena mit gut geführter, warmer Mezzostimme.
Carlos Alvarez
Geteilte Meinung herrschte über die Leistungen des Dirigenten Daniel Lipton, dessen
Dirigat etwas distinguierter, klarer herausgearbeitet hätte sein können, und des
Regisseurs Graham Wick. Letzterer hatte gemeinsam mit seinem Ausstatter Paul Brown vor
allem in der ersten Szene am Hofe des Grafen von Mantua eine Szenerio entworfen, das an
Endzeitstimmung erinnerte. Liebevoll herausgearbeitet war dagegen die Szene im Garten
Gildas und großartig die Kostüme. Auch, wenn man über das Szenario geteilter Meinung
sein konnte, einmal mehr wurde Graham Wick seinem Ruf als Musik und Text respektierender
Regisseur gerecht.
La Plaza d'Oriente während der Vorstellung (im HIntergrund das Teatro Real)
Der Saisoneröffnung, die von 1800 Zuschauern im und von rund 2000 Opernfreunde vor dem
Teatro Real auf einer großen Videoleinwand verfolgt wurde, verlieh die Anwesenheit von
König Juan Carlos I. und Königin Sofia besonderen Glanz. (bp) top
Kommentar
Eine ergreifendere, berührendere Interpretation der Figur des Rigolettos als sie
Carlos Alvarez in der Inszenierung von Graham Wick verkörpert, dürfte es in der
150jährigen Aufführungsgeschichte dieser Verdi-Oper kaum gegeben haben. Mitleiderregend
schon in der Erscheinung, zutiefst glaubhaft in der Gestik und Mimik - da steht nicht mehr
Carlos Alvarez auf der Bühne, sondern ein alter, gebrochener Mann, der mit sich und
seinem Schicksal hadert. Bereits vor acht Jahren hatte der heute 36jährige, spanische
Bariton die Partie des Rigoletto für die Mailänder Scala musikalisch einstudiert, dann
jedoch Ricardo Muti abgesagt, weil er sich noch nicht reif genug für die Rolle fühlte.
Muti hat die Entscheidung damals akzeptiert und mittlerweile haben beide in Wien
Neuinszenierungen wie Don Giovanni und Le nozze di Figaro gemeinsam erarbeitet.
In der Zwischenzeit ist die Stimme gereift und Carlos Alvarez Vater zweier Kinder und
so stellt er fest, "Heute kann ich die Vatergefühle viel besser nachempfinden und
vermitteln. Es ist wie mit einem guten Wein. Ich habe die Rolle acht Jahre lang nicht mehr
angerührt, aber sie ist in mir gereift und nun hat es nur rund einen Monat gebraucht, bis
ich sie musikalisch wieder völlig präsent hatte." Daß er die Rolle als Darsteller
so perfekt interpretiert, sieht er als einen großen Verdienst des Regisseurs Graham Wick
an, "Ich habe versucht, wie eine Jungfrau zur ersten Probe zu kommen. Ich kannte zu
diesem Zeitpunkt schon die Maske, auf der sich die Struktur der Rolle ja sehr stark
aufbaut. Ich kannte natürlich auch die Musik und das Libretto, aber ich wollte der
Inszenierung nicht meine Meinung und Vorstellung über das Werk aufzwingen und das war
sehr gut so. Graham Wick und ich lasen das Libretto gemeinsam sehr sorgfältig, zur selben
Zeit arbeiteten wir jedes Gefühl heraus, das die Musik vermittelt. Da war es eigentlich
ganz leicht, unsere Interpretation zu entwickeln. Wir probten einen Monat lang."
Carlos Alvarez fühlt sich sehr wohl in der Inszenierung von Graham Wick, mit dem er
schon 1998 an der Wiener Staatsoper für die Neuproduktion von Verdis Ernani
zusammengearbeitet hat, in der er die Rolle des Don Carlos sang. Die
Rigoletto-Neuproduktion des Madrider Teatro Reals erfolgte in Zusammenarbeit mit weiteren
Opernhäusern wie dem Maggio Musicale, dem Gran Teatro de Liceo und dem Teatro Massimo de
Palermo (Dez. 2001) und so wird Carlos Alvarez die Rolle des tragischen Narren auch in
Florenz (Nov. 2003) und in Barcelona (Nov. 2004) in dieser Inszenierung geben.
Daß Graham Wicks Inszenierung nicht unbedingt auf die Gegenliebe des Madrider
Publikums stoßen würde, überraschte nicht, hatte er ihr doch in weiten Teilen eine
äußerst düstere, brutale Stimmung verliehen. Mit der Feststellung, daß man sich vor
allem in der ersten Szene während der Festlichkeiten im Palast des Herzogs in einen
Mad-Max-Film versetzt fühlt, kann sich der britische Regisseur durchaus anfreunden. Die
Ausstattung der Höflinge und ihr Benehmen erinnert an eine Rockerbande, während die
Damen in äußerst glanzvollen Kostümen gekleidet sind. Die morbide Atmosphäre, das
verwerfliche, gar tödliche Treiben - ohne Zweifel eine zeitlose Angelegenheit - wird dem
Zuschauer vom ersten Augenblick an vermittelt, wie er auch ohne Textkenntnis der
Geschichte, wie sie Wick inszeniert hat, ohne Probleme folgen kann.
Im Kontrast zu den Sitten und dem Leben am Hofe befindet sich das Heim Gildas mit dem
liebevoll dargestellten Garten und einem Teile des Hauses, in dem die religiösen
Requisiten Gildas Ausrichtung auf ein sittsames, auf die Kirche konzentriertes Leben
versinnbildlichen. In Graham Wicks Inszenierung ist Gilda nicht hinter Gittern zu sehen,
die die Mauern darstellenden Wände der Drehbühne sind zur Zuschauerseite offen - eine
völlig Abschirmung von der Umwelt kann es nicht geben und gibt es nicht - selbst der
Kirchgang entpuppt sich als trügerische Falle. Wieviel Liebe Gilda für ihren
verkrüppelten Vater besitzt, zeigt die Szene, als sie ihm den blutigen Buckel zärtlich
wäscht. Eine Szene, die es so in einer Inszenierung noch nicht gegeben haben dürfte, die
klein und doch genial ist.
Ein anderer Moment, in dem Wick deutlicher als die meisten seiner Kollegen wird, ist
das Ende des zweiten Aktes und der Beginn des dritten Aktes. Was genau zwischen der
letzten Szene im Palast , als Rigoletto dem Herzog Rache schwört und seine ent- und
verführte Tochter mit nach Hause nehmen will, während diese ihren Vater um Mitleid für
den Geliebten bittet und an ihre Liebe zum Herzog festhält, und dem Beginn des dritten
Aktes, als Rigoletto sich mit Gilda vor der Schenke Sparafuciles befindet, um Gilda von
der Treulosigkeit des Herzogs zu überzeugen, geschieht, läßt das Libretto weitgehend
offen. Man erfährt, daß mittlerweile einige Zeit vergangen ist, daß Gilda den Herzog
immer noch liebt und überzeugt ist, daß dieser ihre Liebe erwidert. Graham Wick trifft
eine eindeutige Aussage: Gilda reißt sich am Ende des zweiten Aktes von ihrem Vater los,
bleibt auf dem Bett des Herzogs sitzen, während Rigoletto ohne sie den Palast verläßt.
Noch deutlicher wird die erste Einstellung des dritten Aktes: Gilda ist nicht mehr in
ihrem züchtigen Kleid des ersten Aktes zu sehen, sondern in einem Kostüm als Hofdame
herausgeputzt. Es besteht kein Zweifel, sie hat die Zwischenzeit am Hofe als die Geliebte
des Herzogs verbracht, der sich nun auf neue Abenteuer begibt. Eine einleuchtende
Interpretation. Was häufig störend wirkt, dem Regisseur aber nicht anzulasten ist, da
man die vorhandene Bühnentechnik ja eigentlich auch nutzen sollte, ist das geräuschvolle
Drehen der Drehbühne. Leider erfolgt dies auch während der vom Orchester nur spärlich
begleiteter Soloarien.
Der Chor des Teatro Reals zeigt sich von Martin Merry bestens einstudiert. Das
Orchester bot unter der Leitung von Daniel Lipton eine hervorragende Leistung; atmete
förmlich mit den Sängern, was zwar gelegentlich auf Kosten der Präzision gehen mag,
aber der Aufführung zu einem einheitlichen Guß verhilft.
Birgit Popp
P.S.: Schon vom Anbeginn seiner Karriere, die im Madrider Teatro de la Zarzuela
startete, ist Carlos Alvarez ein Verfechter der Zarzuela, der spanischen Form des
Singspiels, die zwischen Operette und Oper angesiedelt ist. Wie vielfältig die
verschiedenen Ausprägungen der Zarzuela sind, hat Carlos Alvarez auf seiner neusten CD 'Zarzuela
Gala' dargestellt, die im Oktober 2001 bei RBA erschienen ist. Nähere
Informationen bei www.rba.es (in Spanisch
und Englisch)
Weitere Vorstellungen: 4., 7., 10., 13., 16., 19., 22., 24. und 28.
2001
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