'Traumhaft' war der Kommentar einer Opernbesucherin und damit möge sie recht haben -
eine bessere (eine andere zwar schon) Inszenierung und eine optimalere Besetzung als mit
Neil Shicoff (Kapitän Vere), Bo Skovhus (Billy Budd) und Eric Halfvarson (John Claggart)
für Brittens1951 am Londoner Covent Garden uraufgeführten Oper Billy Budd läßt sich
nur schwer vorstellen. Soviel Beifall nicht nur für die erstklassige Besetzung sondern
auch für einen Regisseur gibt es nur selten zu erleben. Das Bühnenbild von Wolfgang
Gussmann, ist zwar stilisiert, aber in augenfälliger Weise, und seine Kostüme in den
Farben Blau, Weiß und Schwarz gehalten entsprechen in ihrem Schnitt und Aussehen der Zeit
des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Willy Decker, der vor einem Jahr bereits mit Lulu einen
großen Triumph an der Wiener Staatsoper feierte, hat dabei in seiner Inszenierung jede
kleinste Geste penibel im Einklang mit Brittens Musik ausgearbeitet und zu einem
großartigen Ganzen zusammengefügt. Großartig ist auch die musikalische und sängerische
Leistung unter der Leitung von Donald Runnicles.
Inhalt
Billy Budd erzählt die tragische Geschichte eines Seemannes. Der amerikanische Autor
Herman Melville (Moby Dick) hat den 'Fall Somers' zu seiner letzten Novelle in den Jahren
1888 bis 1891 verarbeitet, die aber erst nach seinem Tod entdeckt und 1924 veröffentlicht
wurde. Auf der Grundlage der Novelle von Melville basiert das Libretto von E.M. Forster
und Eric Crozier. Die Handlung spielt im Jahr 1797 zur Zeit der Koalitionskriege zwischen
Großbritannien und Frankreich nach der französischen Revolution. Eine Zeit, die Menschen
unter unwürdigen und brutalsten Umständen auf einem Schiff wie in einem Gefängnis
zusammengepreßt sah. Auf einem 74-Kanonen-Schiff, wie es der Handlungsort von Billy Budd
ist, waren z.T. 1500 Seeleute zusammengepfercht, obwohl diese Schiffe nur für die Hälfte
der Anzahl von Personen gebaut waren. Dementsprechend gereizt war das Klima, zudem
schwappten die aufklärerischen Gedanken über den Ärmelkanal auf die britische Insel
hinüber und das Schreckensbild von der Meuterei bei Spithead und auf der Nore war den
Offizieren und ihrem Kapitän noch frisch vor Augen.
Billy Budd, ein Seemann, wird wie zwei andere Personen zum Dienst auf dem Kriegsschiff
'Indomitable' (Unbezwingbare) gepresst. Doch der gut aussehende, etwas naive, fröhliche
Matrose sieht dem Abenteuer mit Begeisterung entgegen, ist 'grundlos glücklich',
zufrieden, gut und hilfsbereit. Als er zum Dienst auf dem Vortopp eingeteilt wird, ist
sein Glück fast perfekt. Aber schon in seiner Begeisterung darüber, liefert er den
ersten Verdachtsmoment, weil er sich von seinem alten Schiff, die 'Rights of Man' lauthals
verabschiedet. Von den Offizieren wird ihm dies als Abgesang auf die Menschenrechte
ausgelegt. Der Waffenmeister John Claggart, abgrundtief böse, erkennt in Billy Budd sein
totales Gegenbild und in dessen Reinheit und Unschuld für sich eine persönliche Gefahr.
In einem großartigen Monolog stellt er fest, daß er in seiner schwarzen Welt nicht mehr
zufrieden sein könne, nachdem er das Gute geschaut habe, ohne es je erreichen zu können.
Claggart beschließt das Gute zu vernichten, spinnt Intrige, bezichtigt Billy Budd der
Anstiftung zur Meuterei und schwärzt ihn bei Kapitän Vere an. Der allseits verehrte
(fast göttliche) Herrscher über das Schiff und seine Mannschaft, durchschaut zwar
Claggarts Spiel, wird aber dennoch sein Opfer und Handlanger. Als er den Waffenmeister und
Billy Budd in seiner Kabine gegenüberstellt und der Vortoppmann sich gegenüber den
Anschuldigungen Claggarts verteidigen soll, kann dieser es nicht, weil er bei Aufregung
stottert und kein Wort hervorbringen kann - auch das Gute hat einen Makel, der ihm
schicksalhaft zum Verhängnis wird. Statt der Worte aus seinem Mund löst sich ein Schlag
aus seinem Arm, der den Waffenmeister niederstreckt und ihn tötet.
Kapitän Vere ruft ein Standgericht aus drei seiner Offiziere ein, bei dem er nur als
(einziger) Zeuge auftritt. Er schildert die Vorkommnisse, ohne jedoch Partei für Billy zu
ergreifen, von dessen Unschuld er überzeugt ist und für den er väterliche Gefühle
empfindet. Das Standgericht verurteilt Billy Budd laut Gesetzbuch der Navy, für den Fall,
daß ein Matrose einen seiner Vorgesetzten tötet, zum Tod durch den Strang. Kapitän Vere
akzeptiert das Urteil, obwohl er erkennt, daß der Engel das Böse vernichtet habe und er
nun das Gute zerstöre, und sich vor dem Urteil des Himmels fürchtet. Er entscheidet sich
für den Tod Billys, um die Moral der Mannschaft nicht zu untergraben und Willkür
ausbrechen zu lassen. Doch gerade das Urteil und die Hinrichtung des bei der gesamten
Mannschaft beliebten Billys führt fast zur Meuterei, die Billy nur dadurch verhindert,
daß er Kapitän Vere (Sternen-Vere, wie die Matrosen ihn nennen) segnet. Schon bei der
ersten Begegnung mit Vere hatte Billy Budd angekündigt, daß er bereit sei, für Vere zu
sterben. Er wird dies nun tun, wenn auch in völlig anderer Weise wie geglaubt. Billy Budd
hat das Urteil und das Verhalten Veres akzeptiert, weiß oder glaubt zu wissen, daß ein
anderes Handeln die Macht des Kapitäns untergraben würde. Es ist jedoch gerade der
Kapitän als mittlerweile gealterter Mann, der in seinen Prolog und Epilog feststellt, die
Mannschaft und Billy Budd hätten gewußt, daß er - Vere - das Leben Billy Budds hätte
retten können. Er sieht letztendlich in Billy seinen Retter, von dem eine Liebe ausgeht,
die alles Verstehen übersteigt.
Regisseur Willy Decker, der auch die kleinste Wirkung nicht dem Zufall überläßt und
sich durch eine herausragende Personenführung auszeichnet, setzt auch äußerlich ganz
auf den Böse-Gute-Effekt, in dem er Claggart ganz in Schwarz kleidet, während Billy Budd
als einziger Matrose (alle anderen tragen Schwarz-Blau) ganz in Weiß erscheint. Der
Kapitän und seine Offiziere treten in blau-weißen Uniformen auf. Decker inszeniert ein
biblisches Gleichnis, in dem Abel Kain erschlägt - oder Gott gar Jesus opfert ? Der
Regisseur möchte den Zuschauer vor die Frage stellen, wie er selbst in dieser Situation
entscheiden würde. Aber ist es wirklich am Ende eine Entscheidung einer Einzelperson, ist
das Ablauf des Geschehens nicht vielmehr die Folge eines zwangs- und schicksalhaften
Ablaufes einer (göttlichen) Vorsehung ? Immer wieder wird dieser Einfluß des Schicksals
und der Vorbestimmung auch im Libretto offenkundig. Eine Reihung von Geschehnissen, an
deren Ende die Hoffnung auf Liebe steht, die das Verstehen eben übersteigt ? Sowohl Billy
Budd als auch Kapitän Vere sehen an der Endstation ihres irdischen Lebens eine Insel -
ein besseres Land - als Zukunftsversion, wo sie für immer vor Anker gehen.
Birgit Popp